Sonntag, 20. September 2009

DVD, Blu-Ray und andere Raumfahrttechnologie der besonderen Art

Der sensationelle Erfolg, den die DVD seit ihrer Einführung in den US-Markt im April 1997 hingelegt hat, ist technisch -- was das Medium als Vertriebsplattform für AV-Content betrifft -- auf eine ideal zu nennende Co-Evolution begründet. Einerseits war die DVD-Video in ihren Spezifikationen gerade so avanciert, dass sie auf damals zeitgenössischer Hardware als Echtzeitmedium zu schultern war; andererseits in ihren Spezifikationen so beschränkt, dass seltsame, systeminhärente Inkompatibilitäten, wie ich sie derzeit mit Kauf-BluRay-Disks erleben muss, nie auftraten. Dass es immer mal Pressfehler gab und gibt: geschenkt: die DVD ist medientechnisch unser "Goldstandard".

Medientechnische Co-Evolution will hier heißen: ohne den "Spirit"-Filmabtaster -- einst eine Hervorbringung von Philips-Broadcast unter Verwendung von Kodak-Scanmodulen (letztlich als Abfall-Produkt des "Cineon"-Marketing-Fiaskos) -- ohne "Spirit" hätte schlicht das Qualitätsniveau an Bild-Material gefehlt, welches zum durchschlagenden Qualtitäts-Argument der DVD wurde.

Wir haben beim diesjährigen Globians Doc Fest Berlin erstmals von Filmemachern selbst gefertigte BlueRay-Recordables via handelsüblichen BlueRay-Playern als HD in 1080p eingespielt, mit großartigem Ergebnis in der Meinung der beteiligten Filmemacher. Um so seltsamer sind die Erfahrungen, die ich mit den ersten Kauf-BluRay-Disks gemacht habe.

Nicht nur, dass bei all den Regionalcodes inzwischen zu viel Gedränge bei den HDMI-Eingängen an Beamern entsteht, die man in 1080p auch mit HDMI-Switches nicht in Griff bekommt (weil bei 720p und 1080p von den Playern gleich alles auf Schwarz geschaltet wird), sondern es entstehen in der praktischen Handhabung auch die seltsamesten Effekte der systemimmanenten Verschleierungs- und Unterdrückungstechniken beim Blu-Ray-Standard.

Drei konkrete Beispiele:

Die zu Recht bislang stets über allen Klee gelobte "Criterion Collection" hat mit "For All Mankind" zum zwanzigjährigen Jubiläum des Mondfahrt-Dokumentarfilms von Al Reinert (und damit natürlich auch zum 40-Jährigen der ersten Mondlandung) eine wunderschöne HD-Neuabtastung und Restaurierung dieses in jeder Hinsicht sehenswerten Film-Essays bewerkstelligt. Leider lässt sich auf dem Sony-BluRay-Player (BDP-S550) mit korrektem Regionalcode "A" ausgerechnet bei diesem einzigen hochwertigen Criterion-Titel weder 720p noch 1080p als Darstellungsauflösung am Player aktivieren. Man muss bei dieser Disk die Auflösung zwangsweise auf 480p herunterschrauben, weil man sonst die systembedingten Verschleierungsmechanismen des BluRay-Standards sich in Echtzeit auf der Leinwand als komplett gestörtes und ständig zusammenbrechendes Bild ansehen kann. Das ist natürlich ein Aberwitz, wenn man diese ressourcenverschwendende Blu-Ray-Technologie künstlich herunter tunen muss, damit überhaupt etwas geht -- und es sieht auch nicht besser aus, als wenn man sich eine DVD kauft (die ja bereits auf SD-Auflösung vom HD-Master herunter gerechnet ist) und diese dann etwa mit einem Pioneer-Player auf 1080p herauf skaliert.

Eine diesbezügliche Eingabe und Nachfrage von mir an "Criterion Collection" wurde bislang nicht beantwortet. Man schweigt lieber. Wahrscheinlich ist es auch besser so. Man sollte keine Blu-Ray-Disks kaufen.

Zweites Beispiel (in der 40-Jahre-Wiederkehr-Hysterie der Mondlandung) die Blu-Ray-Disk "Man on the Moon -- with Walter Cronkite". Das ist das andere Ende der Skala: übrig gebliebene Fernsehdokumentationen mit Voiceover des gerade verstorbenen Cronkite in einer Qualität, die man auch auf VHS-Doppel-Longplay hätte verkaufen können. Immerhin 270 Minuten an Material von TV-Sendungen, die man in Europa als journalistisches Produkt noch nicht gesehen haben dürfte. Das hätte man aber auch in MPEG-1-Kompression auf eine einzige DVD bekommen, nur hätte man das dann eben nicht in einer blauen Amaray-Box getan. Urteil: Mogelpackung.

Drittes Beispiel: Gary Hustwits Dokumentarfilm "Helvetica", erschienen als Blu-Ray bei Plexifilm in New York City. Man kann dort die Hautunreinheiten der Talking Heads einzeln zählen, was mich beim Zuschauen sehr verwirrt hat. Anders herum: Mir ist die Blu-Ray fürs Heimkino zu scharf, wie zu scharfes Essen, das einem den an sich guten Geschmack übertüncht. Mit rund 2K-Auflösung bekommen die Filmemacher nun eine weitere Aufgabe als Edititoren ihrer Filme aufgebürdet: das Unscharfmachen ihrer Filme als künstlerisch-dramaturgische Aufgabe, auch partiell, um das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. In "Helvetica" meine ich, bereits unscharf gemachte Bücherrücken im Bücherregal gesehen zu haben, was allerdings andererseits noch mehr die Pickel auf der Nase der Sprechenden und die Fettflecken auf der Brille geradezu extra betont.

Ob die Blu-Ray also ein Segen wird oder schon ein Fluch von Anfang an ist, wird man sehen. Fakt ist: Filmeanschauen ist anstrengend für Körper, Geist, Emotionen und Seele. 3-D noch mehr von allem, auch wenn man es richtig machen will. Die DVD als rundes Jahrhundertwende-Ding wird auf absehbare Zeit unser Goldstandard bleiben.

Der vor kurzem verstorbene Christian Bauer hatte es anlässlich der Diskussion zum technologischen Aufrüsten von SD auf HD im Dokumentarfilmbereich bei der Dokville-Tagung 2007 so formuliert: "Ich will es gar nicht sehen".

ATRIUM

Freitag, 4. September 2009

Die Berliner Kino-Ausstellung des Kinomuseum Berlin e.V.

Wie gut, dass die Freunde vom Kinomuseum Berlin e.V. jetzt aktiv werden,
nach einem ersten Vortrag beim jüngsten 5. Globians Doc Fest Berlin im August.

Aus der Pressemeldung von gestern:

EINLADUNG ZUR PRESSEKONFERENZ
am 8. September 2009 um 13 Uhr
in der ASTOR FILMLOUNGE, Kurfürstendamm 225, 10789 Berlin

Das Film-, Theater-, Musik-, Literatur- und Hörspielmagazin SPIRIT -EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de und KINOMUSEUM BERLIN E.V. www.kinomuseum-berlin.de laden herzlich zur Pressekonferenz mit gemeinsamen Veranstaltungen.

Im Foyer der ASTOR FILMLOUNGE die Ausstellung des neu gegründeten KINOMUSEUM BERLIN E.V.

“Raum der Illusionen: Fotoreisen durch Berlins vergessene Kinolandschaften"
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sowie die Filmvorführung von SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM

“In den Schuhen des Fischers" - eine Oskar-Werner-Hommage anlässlich des 25. Todestages (Vorabvorführung einer Szene während des Pressekonferenz am 8. September 2009)

Der junge Verein KINOMUSEUM BERLIN E.V. verfolgt das Ziel, die historische und aktuelle Entwicklung des Kinowesens in seiner vielfältigen Ausdrucks- und Erscheinungsform zu erhalten, zu pflegen und weiterzuentwickeln, dabei auch seine gesellschaftliche Bedeutung zu fördern und die technischen, künstlerischen, sozialen sowie wissenschaftlichen Traditionen zu beleuchten.

Durch die Integration auch der privaten Sammlerszene werden dokumentarische und technische Materialien sowie deren Präsentation lebendig gehalten.

Elementar für den Verein ist die Durchführung von Filmbandvorführungen, Ausstellungen und Fachtagungen, eine begleitende Unterstützung bei der Restaurierung kinematographischer Erzeugnisse, insbesondere der Wissensvermittlung durch Herausgabe und Verbreitung kinobezogener Fachliteratur, die für die nachhaltige Existenz von musealen und kulturellen Institutionen des Kinowesens in Berlin sorgen.

Schwerpunkte der Arbeit sind die Erforschung der Filmtheaterbiographien, Architekturen und Programme sowie die technologischen Methoden und Ausdrucksmöglichkeiten einer Filmprojektion im kinematograpischen Raum: praktiziert durch Wiedergabe vorrangig von Filmbandoriginalen von Super 8 bis zum Breitfilm auf hochwertigen Bildträgern.
Selten, nie oder zumeist in formatentstellten Versionen gezeigte Filme wie “West Side Story", “Lawrence von Arabien", “Spartacus oder “Das Land des Regenbaums" sollten in den derzeit photographisch besterhaltenen Kopien gezeigt werden, welche seit Jahren oder Jahrzehnten in Berlin nicht mehr zu sehen waren.

Der Verein wird gemeinnützig tätig sein und steht für alle Interessierten offen. Die zukünftige Arbeit soll dann in Fachsektionen erfolgen, um Plattformen für die verschiedensten Interessenbereiche zu ermöglichen.

SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM www.spirit-fanzine.de präsentiert zu seinem 25jährigen Jubiläum in Zusammenarbeit mit KINOMUSEUM BERLIN E.V. www.kinomuseum-berlin.de und der ASTOR FILMLOUNGE BERLIN http://www.astor-filmlounge.de/astor-film-lounge/historie/ eine Hommage anläßlich des 25. Todestages von Oskar Werner (13.11.1922 - 23.10.1984).

In der ASTOR FILMLOUNGE findet am Sonntag, den 25. Oktober 2009 um 11.00 Uhr eine Sondervorführung der zeitgenössischen 70mm-Roadshow-Kopie “In den Schuhen des Fischers" (“The Shoes of the Fisherman", USA 1968, Regie: Michael Anderson, Panavision 70) statt, mit einem der wohl bestechendsten Leinwandauftritte von Oskar Werner innerhalb der us-amerikanischen Filmindustrie.

Der charismatische Wiener mit der unverkennbaren Sprachmelodik, den Spencer Tracy als “besten Schauspieler überhaupt" bezeichnete, spielt den aufklärerischen Pater David Telemond, der im vatikanischen Konzil Repressionen seiner Glaubensfreiheit ausgeliefert ist. Auch Werners persönliches Credo, der Glaube an Werte dieser Welt, findet in jenem Film sinnfällige Entsprechungen. Produzent George Englund brachte ein herausragendes Schauspielensemble mit den drei größten Hamlet-Darstellern des 20. Jahrhunderts gemeinsam vor die Kamera: Oskar Werner, Laurence Oliver und John Gielgud. Nicht zuletzt beeindruckt in dieser utopisch angelegten Geschichte, die später Entsprechungen in der Realität finden sollte, Anthony Quinn als erster osteuropäischer Papst, Kyril Lakota.

Weitere Vorführungen von Werner-Filmen mit Rahmenveranstaltungen in Berlin sind bereits geplant: darunter die Truffaut-Klassiker “Jules und Jim" (1961) und “Fahrenheit 451" (1966), Anatole Litvaks neorealistisch inspiriertes Spionage-Drama “Entscheidung vor Morgengrauen"(1951), Karl Hartls Mozart-Epos “Reich mir die Hand, mein Leben" (1955) sowie Stanley Kramers Meisterwerk “Das Narrenschiff" (1964), für das Werner jeweils eine Oscar- und Golden-Globe-Nominierung sowie den New-Yorker-Kritikerpreis erhielt. Als Ehrengäste am 25. Oktober werden anlässlich der Vorführung von “In den Schuhen des Fischers" Oskar Werners Sohn Felix als auch Schauspielerkollegin Johanna Matz und die Oskar-Werner-Verehrer Klaus Maria Brandauer und Maximilian Schell eingeladen. Demnächst wird auch Marc Hairapetians Biografie “Oskar Werner - Genie zwischen Tag und Traum" erscheinen. Er hält auch die Einführungen zu den Filmen.

Das Team der Pressekonferenz:
Moderation: Marc Hairapetian,
Herausgeber SPIRIT - EIN LÄCHELN IM STURM, Ko-Autor “Oskar Werner - Das Filmbuch" (Filmarchiv Austria, Wien 2002)
Referenten: Jean-Pierre Gutzeit (Gründer und Vereinsvorsitzender KINOMUSEUM BERLIN E.V.), Uwe Borrmann (Geschäftsführer KINOMUSEUM BERLIN E.V.) sowie Joachim Kelsch (Schatzmeister KINOMUSEUM BERLIN E.V.)

Filmkopienrecherche/Archivgeber:
KINOMUSEUM BERLIN E.V.

Für Rückfragen steht Ihnen Marc Hairapetian unter 0173-4674457 oder unter hairapetian@gmx.de gern zur Verfügung.
Kartenvorbestellung in der ASTOR FILMLOUNGE ab 1. Oktober 2009. Eintrittspreis: 10 EUR. “Großes Kino - fairer Preis!".

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ATRIUM

Donnerstag, 3. September 2009

Bubacks Mörder

Doku-Schauen im Fernsehen ist zur Zeit recht spannend. So gestern Nacht die eilig vorgezogene Doku "Bubacks Mörder" in der Regie von Egmont R. Koch als SWR-Produktion. Dieses journalistische Glanzstück, gerade unter der heutigen Meldung des Tagesspiegel, arbeitete nur zu offensichtlich mit den Mitteln der Gegenaufklärung, wie sie Bröckers heute in seinem Blog als "limited hangout" bezeichnet. Großzüzig wird von sensationellen Zeitzeugen aus zwielichtigem Milieu zugegeben, was nicht mehr zu unterdrücken ist; die volle Argumentationskette (Tafelanschrieb von Sohn Michael Buback im Hörsaal) wird als vorhanden konstatiert aber nicht vermittelt, statt dessen werden Nebenargumentationen aufgeblasen durchpflückt und damit die Nichtdarstellung legitimiert. Der alte Karl-Eduard von Schnitzler hätte an dieser Sendung seine wahre Freude gehabt. Dass sich die Dokumentarfilmabteilung im Hause SWR inztwischen nicht mehr zu schade ist, als örtlich betroffene Anstalt zum Instrument der Gegenaufklärung zu werden, lässt tief blicken.

ATRIUM

Mittwoch, 2. September 2009

Maßlosigkeit und Formwille

Dass "24 Stunden Berlin" mit dem Gestaltungswillen zur Großmannssucht, und darin sehr berlinerisch, zwingend künstlerisch scheitern muss, war eigentlich von Vornherein klar. Dass man das argumentativ so auf den Punkt bringen kann, wie Christiane Peitz heute im Tagesspiegel, ist die eigentliche Kunstleistung zeitkritischer Auseinandersetzung. Allerdings gilt die Erkenntis von Susan Sontag "On Photography" aus dem Jahr 1977 auch im dokumentarischen Abbild in Ton und Bewegungsdarstellung, wonach erst die nachträglich verstrichene Zeit allen lichtzeichnerischen Schund auf die Thron der Verklärung hieft. Das dürfte nach den besagten 18 Jahren auch für dieses gesamt-archivierte Steinbruch-Material mit einer Archivartechnik im Experimentalstatus gelten, wie man in "Professional Production" der jüngsten Ausgabe nachlesen konnte.

ATRIUM

Dienstag, 1. September 2009

Nina Koshofer

Die Erstausstrahlung der Fernsehdokumentation "Sommer 39" auf arte hatte ich festivalbedingt versäumt, freute mich aber heute über die Wiederholungs-Ausstrahlung im WDR-TV -- platziert in der Nacht zum 70. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs. Die wechselseitige Spiegelung von erzählter und berichteter Alltagswahrnehmung, weitererzählt aus der hermeneutischen Haltung der Augenzeugen, der Berichtenden und Erzählenden, ihre sorgfältige multiperspektivische Auswahl, und die dagegen gesetzten Weltenläufe in der großen Politik fand ich in dieser sensiblen Balance sehr überzeugend. Das "literarische Zitat" als dramaturgische Konstante erinnerte mich ein wenig an die Meisterwerke von Ken Burns. Nina Koshofer, die für "Sommer 39" als Co-Regisseurin und Co-Autorin zusammen mit Mathias Haejntes zeichnet und außerdem die Tochter von Autor Gert Koshofer ist, hat sich mit dieser Produktion als gewichtige Stimme im Genre der geschichtlichen Fernsehdokumentation etabliert. Dass man in diesem Blog kein Fan von Bildbeschnitt historischen Klammermaterials ist (16:9 schlägt auch hier wieder ARD-konform gnadenlos zu), braucht nicht extra erwähnt zu werden. Wir werden es hier jedenfalls so lange erwähnen, bis dieser kulturellen Unart in den Redaktionsstuben Einhalt geboten werden wird. -- Weniger überzeugend fand ich in der Autorenschaft von Nina Koshofer hingegen 2007 den Elfteiler über "Die Juden - Geschichte eines Volkes", die mit puppenstubenhaftem Reenactment Sendeplätze füllte. Dass diese Art von kunsthandwerklicher Bebilderung möglichst bald selbst Gegenstand der Fernsehgeschichte werden wird, ist jedenfalls sehr zu hoffen.

ATRIUM