Sonntag, 12. Dezember 2010

Der Goldene Handschlag

Noch nie war das Lesen von Rundfunkbilanzen so spannend wie heute.

Denn: Rüdiger Suchslands Beitrag "Die Selbstabschaffung des deutschen Fernsehens" bei Telepolis vom 08.12.2010 mit dem Aufhänger einer Vermutung des Aufwands des Ö-R Rundfunkssystems für die Zusatz-Altersvorsorge seiner Mitarbeiter
http://www.heise.de/tp/blogs/6/148896
hat für ziemlichen Wirbel gesorgt.

So etwa bei Stefan Niggemeier in seinem BILDblog:
http://www.bildblog.de/26069/lolas-rente/

Nach dem Studium der KEF-Zahlen hat Rüdiger Suchsland seine ursprüngliche Vermutung in einer persönlichen Stellungnahme relativiert und bei der Prozent-Vermutung zurück genommen:
http://www.heise.de/tp/blogs/6/148922

Es sind nun doch keine 50 Prozent des Gebührenaufkommens, die zur Aufstockung des gesetzlichen Rentenaufkommens durch Betriebsrenten verwandt werden. Denn für 2010 sind dies lt. Suchsland gem. KEF ["Aufwendung für die Altersversorgung der Rundfunksanstalten" (S.85)] doch nur 570 Millionen Euro (brutto) als Gesamtbetrag [für ARD, ZDF und DRadio], was angeblich lt. Niggemeier gem. KEF nur 5 Prozent des Gebührenaufkommens seien. Nimmt man den den Niggemeierschen Ansatz und zudem den Dreisatz zu Hilfe, dann würde das Gebührenaufkommen bei 11 Milliarden und 400 Millionen Euro liegen. Tatsächlich liegt die Prognose des KEF für 2009 - 2012 aber bei 33.804 Millionen EURO, also bei rund 8.451 Millionen EURO an Gesamteinnahmen pro Jahr der Periode. Prozentual liegt damit der Aufwand für Altersvorsorge, bezogen auf die Gesamteinnahmen, bei knapp 7 Prozent. Gesamteinnahmen beinhalten allerdings Werbeerlöse. Daher liegt der Aufwand für Altervorsorge bezogen auf die Gebühreneinnahmen wohl höher als 7 Prozent.

Allerdings kippt das Bild, wenn man die aktuellen Aufwendungen für Personalkosten mit den Aufwendungen für Altersvorsorge vergleicht.

Denn es stehen 1.666 Millionen Euro an Personalkosten (ohne Altersvorsorge) [lt. 17. KEF-Bericht, für 2009 - 2012, zitiert von Suchsland] für vier lange Jahre 553 Millionen Euro an Altersvorsorge für ein Jahr (bei ARD+ZDF) gegenüber. -- 416,5 Millionen Euro pro Jahr an Personalkosten gegenüber 553 Millionen Euro an Altersvorsorge. -- Das heisst also: die Altersvorsorge ist höher als die aktuell zu erbringenden Personalkosten.

Der so offensichtlich in KEF-Berichten schlummernde Skandal ist also nicht die falsche Annahme, dass vom Gesamtgebührenaufkommen angeblich rund 50 Prozent in Altersvorsorgeleistungen gingen; -- das, was zu der Disput zu Tage brachte, ist also die Tatsache, dass die Vorsorgeleistungen höher sind als die aktuellen Aufwendungen für Personalleistungen.

Und damit stimmt allerdings aber die Annahme, dass Altlasten aktuelle Produktivspielräume drastisch und erheblich einschränken, was eben zu "cheap programming" führt. Denn das Budget von knapp über 80 Millionen Euro an "Programmbedarf" pro Jahr ist für die vielen Vollprogramme von ARD und ZDF (ARD, ZDF und digitale Spartenkanäle, KiKa, Phoenix, 3SAT, 3. TV-Programme der einzelnen ARD-Anstalten, gesamtes ÖR-Radio) wirklich nicht besonders viel, gerade beim vorherrschenden Programm-Outsourcing-Druck.

Insofern war Rüdiger Suchslands Beitrag diskurs-anregend und sehr zu begrüßen.

Mit Leopold Kehr würde ich sagen: der Bezugsrahmen ist von der Skalierung her zu groß, weil der zunehmende, systemische Verwaltungs- und Vorsorgeaufwand die Produktivität seiner Einzelkomponenten insgesamt zu ersticken droht. Man könnte es auch so formulieren: Die in den 1950er-Jahren konzipierten Fernsehtheater-Anstalten mit angeschlossener E-Kamera, Werkstätten und Hausmeister wirken in ihrer vollen Ausdifferenzierung nach rund 50 - 60 Jahren inzwischen in einer rundherum parzellierten Medienlandschaft seltsam deplatziert, aus einer anderen Zeit.

Wenn man nach vorne denken möchte: Wie sähe ein "public broadcasting" auf der Höhe der Zeit eigentlich aus, gerade in seiner institutionellen Basis?

JP

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