Mittwoch, 11. März 2009

So finster die Stadt

Heute kam bei mir die Ausgabe 2.09 der schweizer Filmzeitschrift "Filmbulletin - Kino in Augenhöhe" an, die mir als gedrucktes Magazin des Kinos mit ihren reich bebilderten Filmbesprechungen und ihren Schwerpunkt-Themen sehr gut gefällt und so schön schweizerisch pragmatisch ist, was gleichbedeutend für mich ist wie: undogmatisch.

Erstaunt war ich über die schnelle Besprechung des Begleitbuchs zur diesjährigen Berlinale-Retrospektive durch Frank Arnold unter dem Titel "So finster die Stadt". Ja, das stimmt, Berlin ist zur Berlinale-Zeit stets ganz finster. Zu solcher Zeit ein Ort zum Davonlaufen oder zum zu Hause bleiben.

Bei dieser Besprechung sollten wir einmal etwas in die Tiefe gehen. Frank Arnold schreibt:

Mit finanziellen Engpässen hatte offenbar auch die diesjährige Berlinale-Retrospektive "70mm - Bigger than life" zu kämpfen, jedenfalls verriet Rainer Rother, der künstlerische Direktor des Berliner Filmmuseums, vor einer der Vorführungen, dass die Auswahl zumindest in einem Fall aufgrund einer 16mm-Kopie getroffen werden musste. Das Geld, um die Sichtung mithilfe der originalen 70mm-Kopien durchzuführen, war nicht vorhanden.


Als ich das gelesen hatte, habe ich schallend gelacht. Ich dachte, Mr. Cinerama hätte in seinem Beitrag von heute (weiter unten) etwas geflunkert. Aber anscheinend mitnichten. Wenn sich filmhistorische Arbeit in der Praxis nunmehr so darstellt, dass es nicht mehr darum geht, eine Vorsichtung dessen zu veranstalten, was man einem Publikum an Auswahl präsentieren möchte, sondern vielmehr darum, dass man die ehemalige branchenübliche Vertriebspraxis des "Block- und Blindbuchens" dahingehend restituiert, dass man preisgünstig Filmpakete eines US-Major-Studios blockweise und eben ohne Vorsichtung übernimmt, dann kann man dies immer noch dann ohne Gesichtsverlust tun, wenn man auch dazu steht und eben gerade dies, die Restitution von Vertriebsmodi, zum Thema macht.

Ich möchte nicht mißverstanden werden: Es ist keine Schande über wenig oder nur einen geringfügigen Etat zu verfügen. Und es ist erst recht keine Schande, aus einem mäßigen Budget nach dem Maximalprinzip das Maximum an Effekt erzielen zu wollen. Und zum Dritten ist es schon gar nicht verwerflich, ein kleines und überschauliches Projekt zu präsentieren, wenn die finanziellen Mittel für Gigantomanie nicht ausreichen.

Das Ganze wird nur dann ein Problem, wenn einem das Marketing-Prinzip des "Kaisers von China" verrutscht und es dann nur noch um des "Kaisers neue Kleider" geht, heißt: Man kann den Kaiser von China mit seinem kaiserlichen Filmformat gerne zu Gast einladen und aus dem Staatsbesuch ein Volksfest kredenzen. Wenn man dann allerdings statt der kaiserlichen Instrumente nur Pappteller parat hat, die man mit Porzellan-Farbe anzustreichen versucht, dann wird das irgendwann mehr oder weniger schnell die fachkundige Entourage des kaiserlichen Hofs und auch das gemeine Volk vor Ort merken. Dann gibt es die Variante, dass die einfacheren Naturen den Schluss daraus ziehen, dass der Kaiser von China eben doch auch nur von Papptellern ißt und dass dieses sagenhafte Porzellan aus dem sagenhaften Mythenreich, was jeder gerne mal mit den eigenen Finger taktil erkunden möchte, auch nur was ganz Gewöhnliches sei. Und dann gibt es noch die Variante, dass sich die einheimischen Porzellanbrenner fachkundig über die präsentierte Mogelpackung und den geleisteten Bärendienst in ihren Depeschendiensten austauschen.

Jetzt zur Publikation, Frank Arnold schreibt weiter:

Das schlägt sich im Begleitbuch insofern nieder, als eine Würdigung dieses Formats, die über das Technische hinausgeht, unterbleibt. Das mag in dieser Weise konsequent sein, denn über die 70mm-Ästhetik anhand von DVD-Editionen zu reden, hat etwas Fragwürdiges. So ist die Publikation vorrangig ein Kompendium, im dem es um die Entwicklung der Technik geht, um die verschiedenen Formate zwischen Todd-AO, Dimension 150 und Ultra-Panavision 70. Die beschreibt Gert Koshofer auf 22 Seiten, die in Anbetracht dieser Materie eher wie eine Skizze wirken. Manches hätte man wirklich gern ausführlicher dargestellt gesehen, etwa, wie es für "Flying Clipper - Traumreise unter weißen Segeln" (1962) zur Entwicklung eines eigenständigen deutschen Systems MCS 70, kam. (...) Bleibt zu hoffen, dass die Seh-Erfahrung bei der Retrospektive sich in einigen adäquaten Texten niederschlagen werden, denn – das wurde deutlich – 70mm ist "mehr als bloss eine Format-Bezeichnung" (Rainer Rother).


Kann ich nur sagen: Arme Autoren, denen von den Herausgebern, Kuratoren und Verlegern nicht genügend Zeit und Raum für ihre Darstellungen und ihre Recherchen einschließlich beurteilender Bewertungen zur Verfügung gestellt wurden. Gert Koshofer ist, was Fachwissen im Bereich der Farbfilmgeschichte angeht, sicherlich unschlagbar. Die Hardcover-Publikation liegt mir vor; ich finde, das Druckhaus Köthen hat einen wunderbaren Produktionsjob gemacht und vom Materialwert des Buches sind €22 ein (subventionierter) Schnäppchenpreis. Bei mir hätte das Buch, komplett abgesehen vom Inhalt, mindestens das Fünffache im Einzelverkaufspreis kosten müssen. Seien wir also froh, dass es wieder eine deutschsprachige Buchpublikation in diesem Themenkreis gibt und das zu diesem Preis. Andererseits ist es für einen Verleger von Filmfachbüchern dann doch erschreckend, wie viele Filmbücher in den Filmbuchverlagen an Lahn, Spree und Bodensee letztlich von der Quersubventionierung leben, leben müssen. Im übrigen widmete sich auch die erste Ausgabe der Weltwunder der Kinematographie von 1994 dem Thema "Geschichte des 70mm-Films" auf 22 Seiten, welcher Zufall! Man sollte die kaballistische Bedeutung der 22 bezogen auf die 65 und die 70 einmal näher betrachten.

Es bleibt das Desiderat einer ausführlichen inhaltlichen und qualifizierten Bewertung dieser Epoche des Kinos einschließlich einer heutigen Bewertung der Filme in ihrem damaligen sozio-kulturell-ökonomischen Umfeld. Dabei bleibt jedoch problematisch, die bei der Berlinale vorgefundene Rezeptionserfahrung in Texte umsetzen zu wollen - so wie dies Frank Arnold einfordert -, wenn die eingesetzten Projektions-Vorlagen als "Originale" und die technischen Einrichtungen ebenfalls als "Original" vorausgesetzt werden. Die Dinge sind hier komplizierter, weil zum Teil fragwürdige Umkopierungen und Restaurierungen durchgeführt worden sind; diese rühren nun daher, dass der ganze 70mm-Hype letztlich ein Abfall-Produkt filmischer Rekonstuktionen, speziell gezielt auf Silberscheiben-Produkte für den Heimabsatzmarkt, ist. Bei den erheblichen Kosten für den "Saubermachprozess" von Kopiervorlagen und Negativen kann man ja mal eine 70-mm-Kopie versuchsweise ziehen, die man notfalls auch zum elektronischen Color-Matching im Digital-Intermediate-Prozess mit einbeziehen kann. Gemessen an traditionellen Kopierwerksstandards hat man es dann dabei mit einer Nullkopie zu tun, also etwas, was man normalerweise keinem Publikum zumuten möchte, in Berlin aber als das Non-Plus-Ultra verkauft wurde. Allein schon dieser Umstand macht die Spannweite der übergangenen Problematik deutlich, von der Abschaffung des Magnettons, dem Nichtvorhandensein von adäquat klingenden Magnettonvorverstärkern mal ganz abgesehen und der Tatsache, dass eine Todd-AO-Leinwand eben anders aussieht als in den Kinosupermärkten, etc, etc...

Ergo: Wir dürfen also noch auf jeweils ein Opus Magnum der Geschichte des Breitwandkinos im Allgemeinen und der des 70mm-Films im Besondern hoffen, geschrieben von Rick Mitchell (auf Englisch) und von Mr. Cinerama (auf Deutsch), und hoffentlich innerhalb der nächsten 15 Jahre, wenn es dann noch Fachbücher auf Papier geben sollte.

ATRIUM

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