Freitag, 20. März 2009

Berlin, vor Ort: Die Verzeitlichung des Raumes nochmals verörtlicht. "Manoel de Oliveira. Das Lebenswerk des Filmregisseurs" in der AdK

Die Erkenntnis, dass das Kino die Zeit verräumlicht und den Raum verzeitlicht, ist Arnold Hauser zuzuschreiben, jenem Arnold Hauser, dem wir die "Sozialgeschichte der Kunst und Literatur" verdanken, einem der großen, seit Jahrzehnten übergangenen, deutschen Filmkunst-Theoretiker.

Bei der "M.O"-Ausstellung in der AdK am Hanseatenweg wirkt die zentrale Aussage Hausers gleichsam aufgegriffen, in dem die Zeit-Kunst de Oliveras nochmals am Beispiel seines Lebenswerks verörtlicht wird. Das übergreifende Ausstellungskonzept, die Filmbilder in Werkausschnitten selbst wirken zu lassen, ohne geschwätzige und pseudo-allwissende Kommentare darüberzulegen, wird noch überhöht, indem es bei zentralen Werkblöcken entweder zur nebeneinander gelegten Duo-Projektion zweier Filmwerke in Videobeamer-Projektion kommt, die thematisch sich ergänzen (wie im Falle von "O Pintor e a Cidade" und "As Pinturas do meu irmåo Júlio", Films on Art) — oder aber es im anderen Falle zu einer gleich vierfachen Nebeneinander-Ausstellung derselben Werkausschnitte in zeitlich verzögerter Reihenfolge auf größeren Flachbildschirmen kommt. Damit wirken diese "Exponate" gleichsam wie ein lebendiges Storyboard. Auch die Übereck-Projektion von zwei zeitlich verschobenen, inhaltlich aber gleichen Filmausschnitten aus dem Neorealismus-nahen "Aniki-Bóbó" ergänzt dieses Ensemble.

So konsequent habe ich dies in noch keiner Ausstellung über einen Filmkünstler bislang erleben können. Die Ausstellung lebt von der Luftigkeit und räumlichen Großzügigkeit, die so auch die Stimmung der Filmwerke aufnimmt, Werke also, die einem als Zuschauer selber Raum geben und die darin von der großzügigen Modernität jener Ausstellungsräumlichkeiten im Saal 2 der AdK am Hanseatenweg in bester Weise unterstützt werden.

Das Ausstellungskonzept des Kurators Joâo Fernandes aus Porto wirkt rundherum überzeugend und begründet einen Standard für die Möglichkeiten der Werkrepräsentanz von Filmkünstlern in Ausstellungen, wozu auch das gedämpfte Licht und die Reduziertheit von schriftlichen Artefakten in Schaukästen beiträgt: immerhin, man kann die Handschrift von de Olivera einsehen, sieht wie eine seiner Drehbuchseiten sich darstellt, eine gezielte Auswahl an Filmplakaten setzt das Sentiment der vergangenen Zeit.

In der geomantischen Mitte der Ausstellung steht ein 35-mm-Projektor in voller Montur, der rattert! Ein Geniestreich! — Ich hatte bereits 1995 zur "100 Jahre Film"-Ausstellung bemängelt, dass man kein Filmmuseum ohne Kino in seiner Mitte betreiben kann. Wie selbstverständlich steht hier ein ratternder Filmstreifenprojektor, der das Debut von M.O "Douro, Faina Fluvial" aus dem Jahre 1931 von Filmkopie den ganzen Ausstellungstag lang ununterbrochen zeigen soll, eingebaut als Minikino in einen von der übrigen Ausstellung an drei Seiten abgesetzten Kasten und flankiert rechts und links mittels Flachbildschirm-Ausschnitten von "Mann mit der Kamera" und “Symphonie einer Großstadt".

Natürlich gibt es auch bei einem rundherum gelungenen Ausstellungskonzept Probleme in Detailfragen, die eben jene Gelungenheit des Entwurfs gleich wieder in Frage stellen. Der Teufel steckt im Detail und bei Kinoangelegenheit steckt er zumeist in der beteiligten Kinotechnik. Und von solchen Detailproblemen gibt es in dieser Ausstellung bedauerlicherweise einige. Ich gehe hier darauf jetzt etwas näher ein, nicht etwa um die Ausstellungsmacher oder ihre Realisateure diskreditieren zu wollen, sondern aus reinem Lernnutzen für weitere Ausstellungsrepräsentanzen von Filmkünstlern.

Es war erklärtes Ziel der Ausstellungsmacher, einen 35-mm-Filmprojektor mit Endlosschleife den ganzen Ausstellungstag über im Zentrum der Ausstellung laufen zu lassen — und für die Ausstellung wurde eine neue Filmkopie auf Polyestermaterial gezogen. Diese Endlosschleifen-Einrichtung sollte selbst Raumskulptur sein; insofern verbot sich für die Ausstellungsmacher die wesentlich teurere Lösung mit einer Großteller-Anlage für Endlosschleifenprojektion, etwa aus dem Hause der Fabrikationsmarke Kinoton. Es sollte auch kein extra Filmvorführpersonal eingeplant werden, daher Endlosschleifen-Betrieb. Die Experten unter unseren Lesern hier ahnen sicherlich bereits schon, was jetzt kommt: Polyester lädt sich in einem Maße elektrostatisch bei Reibung auf, dass es zu Betriebsstörungen kommt und im Zweifelsfalle als zerreißfestes Material den Projektor grundlegend beschädigt und die Endlosschleifeneinrichtung gleich mit.

Auf diesen Umstand hat der erfahrene Realisateur dieser kinotechnischen Anlage, Olaf Saeger von der Berliner Firma Filmkunsttechnik bereits bei der Konzeptionsphase der kinotechnischen Realisation dieser Ausstellung eindringlich und frühzeitig hingewiesen und dringend um das Ziehen einer Filmkopie auf Acetat-Material gebeten. Diesem Wunsch wurde allerdings nicht entsprochen, was jetzt dazu führte, dass man Herrn Saeger vor Ort in der Ausstellung beim ständigen Nachjustieren der filmtechnischen Projektionseinrichtungen praktischerweise Fachfragen stellen kann und auch beantwortet bekommt. Obwohl anders geplant, hätte man also, wenn jetzt schon während der Ausstellungsöffnungszeiten jemand mit Fachkunde vor Ort sein muss, natürlich auch gleich einkalkulieren können, nicht nur einen einzigen Film manuell im Rollenbetrieb mit Rückspulung zu zeigen, sondern aus der genialen wie einfachen Grundidee, ein Filmkino in die Mitte einer Filmkünstlerausstellung zu legen, auch gleich eine kleine Restropsektive von Filmwerken de Oliveras nach Programmansage hinbekommen können. Hier wurde bedauerlicherweise am falschen Ende gespart, zumal man wirklich im mehrfachen Vergleich den Unterschied zwischen einer Beamerprojektion und einen filmstreifenbasierten Originalprojektionen sinnlich vor Augen geführt bekommt.

Andererseits machen die Filmhäppchen der Ausstellung (bei mir jedenfalls) so viel Lust nach mehr (insbesondere die bereits genannten Werke), dass ich mir gewünscht hätte, diese Werke auch auf einer oder mehreren DVDs mit nach Hause nehmen und in ganzer Länge genießen zu können. Diese Option gibt es leider auch nicht. Ein weiteres, fehlendes, "falsches Ende" besteht darin, dass es keine Online-Zone gibt, in der man mittels eines LAN, eines Servers und von Sichtungsplätzen aus, sich um einzelne Filme vor Ort als Zuschauer widmen kann.

Wirklich gestört haben mich an der Ausstellung hingegen folgende Dinge:

# Die Lesbarkeit der Texte auf getöntem Papier in kleiner Schrift bei stark gedämpftem Licht ist nicht gegeben. Hier hätte man dezent nachleuchten können. Es gibt zwar einen gedruckten Ausstellungsführer (lag heute nur in Englisch vor), der nützt einem bei dem gedämpften Licht auch nicht viel (und damit erst hinterher).

# Es kam bei bei M.O's Maschinenfilm-Collage in einem Fall (bei "O Pao") zu einer 4:3/16:9-Quetschung, die unnötig war, weil man sie hätte leicht erkennen und beseitigen können.

# Es wurden NEC 1-Chip-DLP-Projektoren als Videobeamer eingesetzt. Der Regenbogen-Effekt war gering aber vorhanden. Kinematographische Werke in ausstellungskuratorischer Verantwortung mittels 1-Chip-DLP-Projektoren projizieren zu wollen, ist unverantwortlich. Vergleichbare LCD-Projektoren hätten nicht wesentlich mehr gekostet.

# Der Ausstellungskatalog ist zwar schön gestaltet und gedruckt; es fehlen jedoch sowohl eine Kurzbiographie wie auch eine Filmographie, die diesen Namen verdient, die also neben Filmtitel und Jahreszahlen auch Längen- und Laufzeitangaben, Erstaufführungstermine und technisch-kreatives Personal benennt. Vor dem Hintergrund der fehlenden Silberscheiben-Edition schmerzen die fehlenden Angaben zu Rechteinhabern und Vertriebsorganisationen. Zumindest die Angabe des Geburtstages von Manoel de Oliveira würde ich in einem Ausstellungskatalog genannt wissen wollen.

Dass es sich bei M.O um einen ganz und gar eigenwilligen Geist handelt, der allerdings auch Zeitströmungen und gesellschaftliche Einfärbungen seiner Heimat reflektiert hat, kann man bei dieser Ausstellung, die noch bis 29. März geöffnet hat, gut nachvollziehen. Dem trägt ein hervorragendes Soundkonzept bei, mit seiner Mischung aus Lautsprecher-Beschallung, Kopfhörern und Engfeldbeschallungsflächen. Es kommt bei so viel Filmpräsenz gleichzeitig nie zu einer Kakophonie, wie wohltuend. Und das sanfte Surren des Filmprojektors, wenn er denn in Betrieb ist, leistet selbst Einfühlungsunterricht.

Wie schön diese Ausstellung ist, merkt man im übrigen erst, wenn man sie verlassen muss und dazu durch eine dunkle, wilde Beamer-Exposition mit schlechten videographischen Tanzdokumentationen hindurch muss (in Saal 1 der AdK), die einem zeigen, wie man besser keine Filme macht. Damit ist nichts über die dargestellte Tanzkunst gesagt, aber alles über deren filmische Repräsentanz. Noch schlimmer ist allerdings die Tatsache, dass man dabei durch einen beamerbedingten "Regenbogen-Tornado" hindurch muss. Warum sind manche Ausstellungskuratoren in ihren Sinnen so stumpf?

Jedenfalls bot sich in den Wandelhallen der AdK zugleich die nützliche Gelegenheit zu einem Pressegespräch mit einigen Vertretern des neuen "Kinomuseum Berlin e.V." zur strategisch-programmlichen Ausrichtung und geplanten Umsetzung von Projektentwürfen. Man darf also in Berlin gespannt bleiben. Von den Besucherzahlen hätten es bei der M.O-Ausstellung schon mehr als die rund 50 täglichen Besucher sein können, zumal der Eintritt dort in unserer allgemein verteuerten Kulturlandschaft frei war. Man hofft am Hanseatenweg also auf rund 1.500 Ausstellungsbesucher, wenn man vom Staatsbesuch zur Vernisage einmal absieht. PS: M.O wurde entweder am 11. Dezember 1908 (Quelle: imdb.com) oder am 12. Dezember 1908 (Quelle: Ausstellungsfaltblatt) in Porto (Portugal) geboren, wahrscheinlich eine Mitternachtsgeburt, die mit traumwandlerischer Sicherheit zum Film gefunden hat.

ATRIUM
Foto-Quelle des Bildes von Manoel de Oliveira hinter der Arriflex: © Manoel de Oliveira Archiv, Porto

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.