Freitag, 29. Mai 2009

Langzeitarchivierung: Optische Speicherung von Digital-Daten
auf photo-chemischem Mikrofilm mit Silberbasis

von Joachim Polzer

Das Sensationelle am Ergebnis der Tagung "Film digital — Aspekte langfristiger Informationssicherung", die am Mittwoch, dem 27. Mai 2009, von der Arbeitsgruppe Medien des Nestor Kompetenznetzwerks Langzeitarchivierung in den Räumen der Stiftung Deutsche Kinemathek — Museum für Film und Fernsehen in Berlin veranstaltet wurde, waren weniger die sich wiederholenden Kurzvorträge zu den technischen Grundlagen der Quantifizierung von audio-visueller Bewegtbildinformation. Denn in diesen technischen Einführungsvortägen wurden ständig Videobandformate, Digital-Codecs, Datenraten, Dateiensysteme, Kompressions- und Reduktionsverhältnisse und Streamerstandards entweder miteinander verwechselt oder gleich synonym gestellt, bis man schließlich gleich selbst an "Invormationsverluste" (sic!) innerhalb der Tagung glaubte, so die Überschrift eines PowerPoint-Charts der Vortragenden. Bei diesen Ungereimtheiten von Verantwortungsträgern, Praktikern und Forschern fühlte ich mich beständig an die Frühtage der Einführung des Internets in Deutschland, an die Mitte der 1990er-Jahre erinnert. Das dies unter Fachleuten heute noch, 15 Jahr später, passiert, bleibt mir ein Rätsel.

Der große Hit der sehr gut mit über 100 Besuchern besuchten Tagung waren auch nicht die ewig wiederkehrenden und sich ständig in ihrer Struktur wiederholenden "Workflow-Charts", die einer endlosen Workflow-Orgie glich, bei der anscheinend die Substanz der Medienträger durch die virtuelle Substanz des Gehirnschmalzes ersetzt wurde. Und auch keine Sensation war es, wenn so genannte Datenbank-orientierte "Content Management Systeme" um automatisierte Encodierungsroutinen von Forschungsinstituten als Projektentwurf erweitert werden (wieder mit Workflow-Darstellung) und als neuer Stein der Weisen dem interessierten Publikum angedient werden sollen.

Die Sensation der Tagung war allerdings die Erkenntnis, dass bis auf Weiteres zu einer Informationsspeicherung mittels zu Silber reduziertem Silberhalogenid-Material auf Filmträger es derzeit keine Alternative gibt, gerade unter dem Gesichtspunkt, dass sich die Haltbarkeit von Festplatten und Feststoffplatten sowie von Datenstreamter-Bandformaten in keinster Weise abschätzen lässt und sich der technologische Fortschritt einer zeitlichen Entwertung dieser Medienträger ständig weiter beschleunigt. Auf welchen Geräten will man heute LTO1-Bänder noch abspielen? — Wie groß ist die Gerätebasis für LTO3- und LTO4-Bänder wirklich? Wie schon bei der April-Tagung des HDF in Stuttgart festgestellt: die reine Auslagerung von Daten in Massenspeicher-Zentren löst das Problem nicht; eher schiebt eine solche Entscheidung das Medienträger-Problem lediglich aus den eigenen Problembewußtseins-Horizont hinaus.

Dabei ist der AG Medien beim Nestor Kompetenznetzwerk und den Verwantwortungsträgern seitens der SDK ein großes Lob auszusprechen, dass zwei mit einander konkurrierende Systeme bei der Speicherung von Informationen in Silberschichten auf Filmträger sich im Vortragsablauf der Tagung vorstellen konnten.

Es war dies zum einen die Darstellung von Harald Schernthaner als Leiter der "Digital Intermediate" Abteilung bei Arnold & Richter (ARRI) aus München zum Thema "Color Separation Master", als durch einen ARRI-Laserbelichter auf Kodak 2238 35-mm-Intermediatematerial analog auf Film ausbelichteter, sequenzieller RBG-Auszug. Das von ARRI propagierte Gesamtsystem kommt, wie man es bei ARRI-Produkten gewohnt ist, ziemlich schick daher; die ausbelichteten RGB-sw-Bilder werden in einen "Separation Master Envelope" verpackt, d.h. die notwendigen Metadaten wie Timecode, Farblayer, Bildnummer etc. sind mit anderen Qualitätsparametern wie "Frame" und "Passer" in Klarschrift um die Bilder herum mit ausbelichtet. Es ist Harald Schernthaner sehr zu Gute zu halten, dass er als Einziger auf der Tagung nicht nur Ross und Reiter bennannte, sondern auch einen Preis zu Protokoll gab: 90 Min. Bewegtbild sind bei ARRI als "SW Separation Master" für € 50.000,- zu haben.

Neben dem exorbitant hohen Preis von mehr 500 Euro pro Spielminute, scheint mir das im Bildbereich ausgereifte ARRI-Separation-System — das ja das analoge, subtraktive YCM-Separation-Master des Kopierwerks durch das farbauszügige Konvertieren des additiven Farbraums des Digital Intermediates der Postproduction auf RGB-Schwarzweißfilm ersetzen will — an einem entscheidenden Denkfehler zu kranken: Der Ton wurde außen vor gelassen, man könne ja ein Lichtton-Negativ zusätzlich einlagern, hieß es. Dabei wäre man dann bei einem 90-Minüter bei mindestens 20 Filmrollen @ 600 Meter und hat neben dem physischen Materialaufwand auch die Last der klimagerechten Langzeit-Einlagerung von gut 100 KG zusätzlichem Material.

Demgegenüber vertrat Christoph Voges vom Institut für Nachrichtentechnik an der Technischen Universität Braunschweig eine geradezu revolutionären Neuansatz, wenn am Braunschweiger Institut derzeit daran geforscht wird, wie man Digitaldaten am Besten als Bit-Pixel auf Mikrofilm speichern und wieder auslesen kann. Es handelt sich im Grunde hierbei um das gleiche Prinzip wie bei "Dolby Digital", wo die Bit-Pixel zwischen die Perforationslöcher belichtet wurden, nur dass eben hier unperforiertes Material über die fast gesamte Filmbreite in High Density ausgenutzt wird.

Christoph Voges hatte seinen Ansatz ja bereits schon einmal in einem Vortrag und in einigen Veröffentlichungen publiziert. Doch erst jetzt, im direkten Vergleich mit dem traditionellen ARRI-Ansatz wird das revolutionäre Potential deutlich. Bei einer angestrebten Speicherdichte von 250 MegaByte pro Meter 35-mm-Mikrofilm ohne Perforation bedeutete dies bei einer Rollenlänge von 600 Metern eine Kapazität von rund 150 GigaByte. Das ist genug, um einen 90-minütigen Spielfilm mit einer sanften Datenreduktion im Codec JPEG2000 (also rund 1 : 10) mit Tonspur auf eine einzige Digitale Mikrofilmrolle zu bringen und langzeit zu speichern. Mikrofilm war stets dafür bekannt, rund um den Faktor 3 preiswerter als Kinefilm-Negativ- bzw. -Intermediatematerial zu sein. Obwohl die Kodak AG in Stuttgart auch auf mehrfache Nachfrage den Meterpreis des Kodak SW-Separation-Flms 2236 nicht veröffentlicht und nur an Kopierwerke abgibt, kann man der US-Gesamtpreisliste 2009 von Eastman Kodak entnehmen, dass der Listenpreis für eine 610-Meter-Rolle des 2236-Materials US$ 753,15 beträgt. Bei einer Gesamtmenge von 7.500 Metern für ein Separation-Master von 90-Minuten Laufzeit kommt man auf fast 10.000 US$ alleine an Materialkosten.

Demgegenüber kosten zwei 300-Meter-Rollen laserbelichtbarer Mikrofilm derzeit rund 200 € netto an Materialkosten, jeweils ohne Entwicklung. Im Vergleich spricht dies für eine kostenseitige Materialersparnis von rund 97 % und man hat auf dem Mikrofilm auch den Ton mit drauf.

Natürlich kostet ein geeigneter Laserbelichter für dieses noch im Forschungsstatus befindliche Digi-Mikrofilm-Projekt auch seine rund € 400.000,-. So eine Maschine will, wie ein ARRI-Laser eben auch, ausgelastet sein. Bei einer fünfjährigen Abschreibungszeit (bedingt durch den technischen Fortschritt), sind die € 400.000 Investionsvolumen auf rund 1.500 Arbeitstage umzurechnen, was einem Maschineneinsatz von rund 300 € pro Arbeitstag entspricht.

Ein Preis in Höhe von € 50.000 ist für am Thema Langzeitarchivierung unsensiblisierte, zentraleuropäische Filmproduzenten genau so wenig vermittelbar wie den Etats von Filmarchiven und unabhängigen Filmemachern. Gehe ich von mir selber aus, würde ich nur zu gerne meine dokumentarischen Videoproduktionen aus rund 25 Jahren auf digitalen Film umspielen. Da es sich dabei um Archivproduktionen maximal in Standard-Definition-Auflösung handelt, hielte ich hingegen folgende Mikroverfilmungspreise bei 250 MegaByte/Meter Speicherdichte für realistisch und am Markt auch für kleine, unabhängige Dokumentarfilmproduzenten attraktiv:

5 GB / 1 DVD = 20 Meter Digi-Mikrofilm @ € 10 = € 200
20 GB / 1 BR-D / 90 Min DV25/HDV = 80 Meter Digi-Mikrofilm @ 7 = € 560
40 GB / 1 BR-D DL / 90 Min DVCP50/IMX50/MP2-50 = 160 Meter Digi-Mikrofilm @ 6 = € 960
80 GB / 90 Min DVCP-HD100 = 320 Meter Digi-Mikrofilm @ 5,50 = € 1.760
150 GB / 90 Min 2K/JPEG2000 1:10 = 600 Meter Digi-Mikrofilm @ € 5 = € 3.000

Das dürften zudem in etwa die Preise sein, die Postproduktionsbuden derzeit für die Umspielung von DPX-Dateien auf Magnetband-basierte Datenstreamerformate verlangen.
Langzeitarchivierung auf Film darf demgegenüber nicht teurer sein.

Hinzu kommt noch ein weiterer Faktor, an den bis jetzt wohl noch kaum einer denkt. Der Silberpreis lag heute bei US$ 15,79 pro Unze. Kommt es zu einem Währungsflächenbrand (den eigentlich alle vernünftigen Prognostiker für die nächsten 36 Monate vorhersagen), dürfte es weder bei den genannten Preisen, noch bei diesem Silberkurs bleiben. Wenn Silber nicht mehr 15 Dollar pro 31 Gramm kostet, sondern 150 oder 1.500 oder 15.000 Dollar, macht es einen großen Unterschied, ob man 10.000 Meter Silber-Film-Material verbraucht, oder nur 600! Damit will ich ausdrücken, dass man unter Ressourcenbewußtsein sich so einen Luxus an Materialverschwendung wohl bald auch dann nicht mehr leisten können will, selbst wenn man es sich noch leisten kann.

Die spannende Frage, wie man die Laboranordnung aus Braunschweig in die richtige Welt des Marktes bekommen könnte, hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen:

Zum einen gibt es derzeit kein kommerzielles Playerprodukt, der bezüglich des Anschaffungspreises nicht mehr kosten dürfte, als die seit 30 Jahren bekannten Video-Player verschiedener und damals aktueller Videoformte von Sony: also nicht mehr also als € 30.000. Sinnvoll wäre sicherlich eine Desktop-Variante, die vielleicht nicht ultra-schnell den Mikrofilm wieder einliest, aber eben auch auf dem Schreibtisch eines Filmproduzenten sinnlich den Datenrecovery jeden Tag aufs Neue nachvollziehen lässt; dafür könnten Formfaktoren wie Flashfilmscanner oder TK35 oder 16-mm-Projektoren Pate stehen. Ebenfalls mir unbekannt ist die Vorbelastung durch Patente anderer Forscher, Patentansprüche der derzeitigen Forscher, also die Frage, wie offen und Open Source ein solches System wäre. Gäbe es einen handwerklichen Wettlauf um in Manufakturgröße herstellbare Player, wäre in der Tat bis auf Weiteres das Ei des Kolumbus für die Langzeitarchivierung von Daten gefunden.

Großer Vorteil ist mithin, dass es zwar nur einen Rohfilm-Hersteller des Filmtyps "2236" gibt, Mikrofilme jedoch nicht nur von Kodak, sondern auch von anderen Herstellern wie Ilford, Agfa und ORWO entwickelt, hergestellt und vertreiben werden.

Mit scheint die ganze Angelegenheit des Braunschweiger Vorschlags höchst interessant zu sein; inwieweit ein solches System betriebssicher und idiotentauglich Daten auch wieder zurück in Rechnersysteme bringen kann, müssten praktische Feldversuche zeigen.

Im Zuge des im Aufbau und Planung befindlichen Kinomuseums Berlin würde ich sehr dafür plädieren, gerade im Bereich des AV-Wesens praxisbezogen Hilfestellung für Testumgebungen und praktische Erprobungen zu leisten. Die Idee ist bestechend in ihrer Rekombination von High Tech und Low Tech.

Auf die Frage eines Filmarchivars bei der Tagung, wo denn die Schnittstelle zum Filmgewerbe sei, darf man im technischen Stand von heute getrost antworten: Wahlweise USB2, Firewire 400/800 oder gleich USB3 und FiberOptik.

Überhaupt kann ich die abwehrende Haltung in der Diskussion nach der Vorstellung des Braunschweiger Systems bei der Tagung nicht nachvollziehen: Die Vorstellung, als Archivar mit seinen Bleicontainern aus Mikrofilmen in den Oberrieder Barbarastollen in der Nähe von Freiburg im Breisgau als zentralem Bergungsort der BRD verfrachtet zu werden, scheint keine sehr attraktive Vorstellung für heutige Filmarchivare zu sein. Gerade von Seiten der SDK hat man sich auch bei dieser Tagung sehr darüber beklagt, als gleichwertiger Kooperationspartner von heutigen Filmproduktionsfirmen mit ihren digitalen Workflows als 'Filmdosensammler' nicht ernst genommen zu werden, man fürchtet, "30 Jahre hinterher zu hängen" und wieder "nur die Krümel abzubekommen".

Mir scheint also die Frage der Langzeitarchivierung eher eine Haltungsfrage und eine Frage der ethischen Einstellung des damit befassten Personals zu sein. Der Wunsch des Filmarchivars, mit dem Sektglas in der Hand auf dem Premierenempfang des Filmproduzenten gleich wichtig genommen zu werden, scheint mir doch eher ein grundlegend an den Verhältnissen frustriertes und unerfülltes Anerkennungsbedürfnis auszudrücken. Dass man in einem Filmarchiv inzwischen digitale Informationstechnologie auch zu etwas anderem als dem täglichen Briefverkehr und der Abspeicherung von Korrespondenz verwenden kann, dürfte inzwischen doch zu einer Binsenweisheit verkommen zu sein. Es ist zudem keine Schande, auch in einem High-Tech-Gebäude mit einer Filmdose unter dem Arm gesehen zu werden.

Nein, die Nähe zum Sektglas auf dem Premierenempfang ist die falsche Entwicklungsrichtung. Archivwesen, gerade wo es um Langzeiterhalt geht, stand dem klösterlich abgeschiedenen Eremitendasein über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende, stets viel näher als repräsenative Großmannssucht in zentraler Hauptstadtlage. Das Kölner Stadtarchiv ist im Übrigen zur Zeit sehr froh darüber, dass wohl rund ein Drittel seiner Bestände in den Bleicontainern des abgeschiedenen Barbarastollens relativ simpel und sicher geborgen werden kann.

Links:
www.langzeitarchivierung.de
http://www.ifn.ing.tu-bs.de/de/sp/voges/
http://www.arri.de/film_tv_services/our_services/digital_intermediate.html


ATRIUM

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