Die ersten Einträge in diesem Blog datieren auf den 26. Februar 2009; minhin hat dieses Blog heute seinen ersten Jahrestag: Gegelegenheit für eine kursorische Zwischenbilanz zur "Zukunft des Kinos".
3-D ist in Rekordzeit von einem Randphänomen zu einer realen Option des Kinos geworden. Einer Boomzeit gleicht die "Goldgräberstimmung" in der Unterhaltungsgeräteindustrie jener der "New Economy" vor rund 15 Jahren doch sehr. Binnen weniger Monate soll eine gesamte Wertschöpfungskette der dreidimensional bewegten Bilder stehen und ökonomisch rollen.
Die ersten bikularen Camcorder von Panasonic für $21.000 dürfen als fertiges Produkt bereits vorbestellt werden. Inwieweit diese Erweiterung der Möglichkeiten des Kinos zu einem neuen Zwangsstandard sich entwickeln wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen.
Das Einjährige dieses Blogs fällt zufälligerweise auch auf den Erstveröffentlichungstermin von "Heavy Rain" (SZ-Rezension hier) aus der Computerspielschmide von Sony, ein "Computerspiel" mit figurenbetonter Spielfilmdramaturgie. Es löst nach rund 10 Jahren jene Versprechungen ein, die in der Buchveröffentichung "Aufstieg und Untergang des Tonfilms" als sechster Ausgabe des Priodikums "Weltwunder der Kinematographie" sich bereits gedanklich abzeichneten: die Synthese aus bislang handlungsgeilem "action driven" Computerspiel mit narrativen Elementen der Tiefendramaturgie von Handlungsfiguren, "character driven". Die Annahme und Übernahme einer narrativen Spielfilmdramaturgie wie es sie das Jahrhundert des Kinos mit seiner Menschen-Empathie hervorgebracht hatte und die Umwandlung zu etwas Neuem: die Werkunterbrechung und Werkeinflussnahme im zeitlichen Ablauf als das eigentliche Zeitkunstwerk.
Als kleine Randnotiz hat sich der interaktive Spielfilm damit auf recht hohem Niveau bereits herausgebildet; der eben nicht mehr mit dem Abbild von Realem, sondern mit Animationstechniken und seinen Stragien der Synthetisierung begrenzt unendliche Handlungsvariationen mittels Algorithmen möglich macht. Das Primat der Digitalisierung hat sich die Realität Untertan gemacht -- das ist das neue Wirklichkeitsparadigma des Kinos. Es läuft nicht nur zur Arbeitserleichterung nunmehr alles via Computationstechnik: Dies merkt man ganz banal und einfach schon dann, wenn im "Fernsehen" (auch das ein Anachronismus aus der Analogzeit) ein alter Buñuel-Film gezeigt wird, der sein farbliches Erscheinen auf manuell ausbalanciertes Eastmancolor baut und noch nicht auf dem von Algorithmen getriebenen Coloristen im Digital Intermediate. Bald wird man sich die alten Filme in Eastmancolor nicht mehr anschauen wollen, wegen ihrer "chemischen Rohheit" bei der Farbwiedergabe. Je einfacher und preiswerter die algorithmen-getriebene "Bearbeitung nach Zahlen" sich auch kaufmännisch "darstellt", desto eher dürfte jener Punkt erwartbar sein, bis man die Filmklassiker aus der Farbfilmzeit auch einem "DI" unterstellen möchte, damit es den Augen angenehmer wird, von wegen Schwarzpunkt, Gradation und Eingriffnahme in die farbliche Dramaturgie. Was hätte Anonioni wohl dazu gesagt?
Zurück zum interaktiven Spielfilm: Sicherlich wird sich dieses oder bald auch andere, aufwendig programmierte Interaktions-Produkte des Kinos, nicht nur autistisch alleine gegen die Box spielen lassen, sondern - online - auch mit mehreren simultanen "Mitspielern" zu bedienen sein, sich bedienen lassen -- und es ist auch vorstellbar, dass das Ergebnis einer solchen "Spiel-Sesssion" aus "Multi-Playern" öffentlich vor Publikum sich in einer Kinovorführung darstellen darf. Die Netzwelt entgrenzt den Raum, der interaktive Eingriff entgrenzt die Zeitfessel und das künstlerische Produkt entgrenzt mit seinen Algorithmen die Wirklichkeit zur Simulation. Das kann man auch als Bewußtwerdungsprozess verstehen und verschiebt das Problem von der Technik auf das ethische Handeln der Hervorbringer solcher Produkte. Angesichts des Ökonomieprimats darf man dabei allerdings spektisch bleiben.
Bei der Antizipation von "Fortschritt" bleiben die weiteren Entwicklungsschritte von der brillen-erzwungenen 3-D-Kinodarstellung über die brillenfreie Autostereoskopie bis hin zur Holographie jedoch genauso fraglich, wie der Interaktive Spielfilm mit einem passiven und in seiner Homogenität inhomogenen Publikum ohne aktive, individuelle Stellvertreter der Spielführung. Denn auch "Regie" unterzieht sich im Totalrückzug ihrer Sinnstiftung, wenn "Regie" sich auf die Selektion von Optionen aus einer Algorithmen-Bibliothek in ihrer eigentlichen Funktionsaufhebung übt.
Die Konvention des Sitzens im Kinos wirkt konditionell, wie auch die gewünschte und aufgesuchte Passivität in der Publikumsmasse. Inwieweit also die Bewegtbild-Holographie eine Körperbefreiung des Kinopublikums (vom Sitzzwang) hervorbringen wird, steht ebenso in den Sternen, wie auch die Verhandlung von Masse und Individuum beim interaktiven Spielfilm-Game mit lediglich einer Publikumsmasse und ohne Spielstellvertreter. Demokratisches Abstimmen über Tastenpanel oder Gamestick am Sitz wirken schon als Vorstellung unfreiwillig komisch. Wahrscheinlich wird, von wegen Sterne, das Planetarium wohl jene Transparenz bieten, die das Kino damit verliert.
Zu guter Letzt lassen sich die beiden derzeit sichtbar gewordenen Stränge auch synthetisieren: warum also nicht Holographie und Interaktion als die Zielform des öffentlichen Lichtspiels im 21. Jahrhundert. Es scheint, als ob unsere restaurative Bewahrerzeit der letzten 20 Jahre sich nach den grundlegenden politischen Veränderungen mit dem Ende des Kalten Kriegs nunmehr ihrem Ende zuneigt. Die starken Veränderungen in der technischen Kultur des Kinos sind dafür zumindest ein Indiz.
Es bleibt die Frage offen, wie das grundsätzliche Problem der Digitalen Kultur gelöst werden soll: Vorübergehender Totalitätspopanz bei gleichzeitig nur kurzfristig gesicherter Erhaltungszeit. Das Problem des migrationsfreien Langzeiterhalts von Daten (meint: ohne Energie erneut für einen Überlieferungserhalt zuführen zu müssen) ist im kulturell-gesellschaftlich-politischen Prozess bislang ohne ausreiende Resonanz. Ebenso wie man unter "Zinkpest"-Bedingungen eine technische Zivilisation ohne Großstrukturen der Industrie in der Massenproduktion von elektronischen Bauteilen (vor allem bei Chips) aufrecht erhalten können wird. Und dafür reicht es schon, wenn der inter-asiatische Handel während einer schwelenden Weltökonomiekrise vielleicht lieber für sich bleiben möchte und wir als Transatlantiker wieder in die "Röhre" schauen dürfen.
ATRIUM
Freitag, 26. Februar 2010
Ein Jahr "Kinoperspektiven"
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