In Resonanz auf die Echos der Veranstaltung "Ist der Dokumentarfilm noch zu retten? -- Digitale Herausforderungen seiner Archivierung" könnte man aus aus der Perspektive einer Ferndiagnose dieser Veranstaltung vermuten, daß die Debatte allenfalls der Erhaltung und dem Vertrieb von Dokumentarfilmen einen ernstzunehmenden Anstoß gab. Die Heilsversprechen der totalen Umstellung auf Digitalisate werden voraussichtlich in einem Debakel scheitern: weder exisitieren finanzielle Rahmenbedingungen zu deren Umsetzung noch Kapazitäten auf der Produktionsebene. Man steht fassunglos vor einer "technologische Offensive" der Greenhorns, die bisweilen in Deutschen Kinematheken als Quereinsteiger (in dem Sinne: erst Wenders, dann "wen wundert's") verantwortliche Posten als "Technischer Leiter" übernehmen (nach Einstellungsprofil der SDK: Kenntnisse in Medien- und IT-Technik - Kopierwerkswissen ist nicht erwähnt). Diese Offensive steht konträr zum Postulat der US-Archive, künftig nach den desaströsen Erfahrungen ausschließlicher Digitalisate nunmehr wieder auf Sicherheitspositiven und Farbauszügen des 35mm-Verfahrens zu sichern - übrigens auch für vollständig auf HD-Video gedrehte Filme).
Angeschoben wurden das Digitsat-Projekt einer Online-Library der Deutschen Kinemathek u.a. vom Verwaltungsleiter der SDK (Jurist, aber kaum Filmfachmann), der darin möglicherweise neue Vertriebsarten, Vernetzungen und Umsätze für das Haus erhofft. Nun wäre einer Demokratisierung in der Verfügbarkeit von Medien, dezidiert auch Filmen, etwas Positives abzugewinnen, um den Torturen der Filmkopienrecherche, Speditionen und Abnutzungserscheinungen zu entfliehen, wie es der Leiter des Münchner Filmmuseums in einem Report in "Recherche Film & Fernsehen" verlangte. Zurecht wird dem gegenüber jedoch auch von einer "Amazonisierung des Filmarchivwesens" gewarnt, die fatale Folgen einer sozialen Desintegration heraufbeschwören könnte, sprich: der häusliche Konsum von Computerspielen eben so wie von Museumsgütern (die eigentlich in Museen angeschaut werden sollten),wird um ein weiteres die theatralen Kulturen aus ihrem Sinnzusammenhang herausreißen und fragmentarisieren.
Jedoch hat der Defätismus der Kinematheken aktuelle gravierende Umbrüche der Branche zur Voraussetzung: der Forderung der US-Archive nach 35mm-Schwarzweiss-Sicherung ließe sich mittlerweile in eben so geringem Maße entsprechen wie die erhoffte Digitalisierung der filmischen Archive. Wenn zum Auftakt der letztjährigen Tagung des Verbandes der Kommunalen Kinos der Leiter des Filmarchivs der SDK das Motto in der Raum warf "Filme müssen digitalisiert werden. Wenn sie nicht digitalisiert werden, gibt es bald gar keine Filme mehr" sowie "es wird ja schon bald kein Filmmaterial geliefert", so fußt diese Brandrede tatsächlich auf dem Defizit der filmstock-produzierenden Industrie, in ausreichendem Kontingent Kopiermaterialien und Printer bereitzuhalten. Eine Lösung aber "weg vom Film" und hin zum Digisat leuchtet eben so wenig ein und scheint auf einem Mangel an Brancheneinblick zu beruhen.
Höchst problematisch ist seit Jahren bereits, daß die Kopierwerke nicht mehr zur einer einwandfreien Schwarzweiß-Negativentwicklung imstande sind. ARRI München jedenfalls hat seine s/w-Negativentwicklung zwischenzeitlich wieder abgebaut, und die zur adäquaten Umkopierung erforderlichen Printer mit Schmitzer-Naßkopierung werden derzeit überall demontiert - für die zeitgemäße Film-Produktion reicht allemal eine Abtastung, nachdem schon der klassische Negativschnitt fast zur Gänze abgeschafft worden ist. Und daran werden die - gegenüber den europäischen Restaurations- und Archivleuten der Kinematheken professioneller agierenden - US-Archive sicher noch zu kauen haben.
Sollte aber von Steurgeldern und auf Geheiß filmtechnischer Laien, die sich in den Kinematheken durch "neue Projektanstösse" zu profilieren versuchen, eine Entscheidung zur ausschließlichen Digitalisierung fallen, kann schon jetzt gesagt werden, daß diese Bemühungen im Sande verlaufen dürften, dabei massiv finanzielle Ressourcen vergeuden und mangels Effizienz das Archivgut mehr schädigen könnten als sie zu sichern.
Es sei daran erinnert, daß allein die Vorbereitung älterer Negative zur Umkopierung resp. Abtastung extensive manuelle Prüfungen Ausbesserungen voraussetzt, für die weder ein Etat veranschlagt ist, noch in einigen Jahren, sobald die analoge Sicherung über den Jordan geworfen wurde und auch kein fachspezfisches Personal mehr zur Verfügung steht, ein Faß ohne Boden darstellt. Außerdem beweisen die Scans älterer Negative seit Jahren Defizite in der Güte und im Anspruch an den historischen Look, was wiederum von den wenigsten angeprangert, wenn denn überhaupt bemerkt wurde. Schließlich wurde seitens der deutschen Kinematheken auch selten ein Kontakt zu Filmfachleuten aufegbaut, die aus dem Schatz ihrer Seherfahrungen unschätzbare Dienste in der Rekonstruktion filmischer Originale hätte leisten können.
Wer daher wie einige Museumssleiter, die zumeist kunstheoretischen oder literarischen Studiengängen enstprangen, glaubt, Filmrollen bräuchten nur auf den Abtaster gelegt zu werden, braucht sich dann nicht über Filmschäden ohne Ende zu wundern, von denen die Materialien in all den Jahrzehnten zuvor noch verschont geblieben sind. Dann sollte man sie doch gleich im Bunker belassen...
Als Quintessenz und diametral zu den Heilsversprechen u.a. vom Potsdamer Platz in Berlin wäre zu fordern, daß eher die Ausweitung der Archivkapazitäten des Bundesarchivs, und zwar auch für ausländische sowie synchronisierte Filme und Kinokopien jedweder Art unter den dortigen Bedingungen der optimal gekühlten oder vereisten Filmbunker auf Jahrzehnte (oder Jahrhunderte) die erhoffte Konservierung und Authentizität sichern hilft, als halbgare Mirgrations-Hypothesen einiger Karrieristen und Profiteure, bei denen film- und produktionstechnische Erfahrungen offenbar zu wünschen übrig lassen.
Das Bundesarchiv wäre vom Teufel geritten, einem nicht durchführbaren Projekt der - ohnehin als Substandard anzusehenden - 2k-Digitalisierung hunterttausender Filme einen Etat zu opfern, der besser doch der Erweiterung der Sammlungsthemen, des gerade erst brandneu eingerichteten Filmkopierwerks und der filmbezogenen Lagerflächen zugute kommen könnte.
CINERAMA
Vorstandmitglied des Kinomuseum Berlin e.V.
Mittwoch, 29. April 2009
Irrungen und Wirrungen — zur Paradoxie der "Film-Migranten"
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