Donnerstag, 28. Januar 2010

Gebundene Binden

Während der weibliche Teil der US-IT-Welt verwundert ist über die Wortschöpfung einer "iBinde", protestierten am Rande der gestrigen Apple-Versammlungsfeier in San Francisco einige wenige der "Free Software Foundation", die darüber entsetzt sind, dass das entsprechende Gerät der mobilsten Firma der Branche ('bloss weg von PC und Notebook') eine weitere Zurückdrängung freier Software mit freien und das heißt offenen Vertriebswegen bedeutet.

Im Klartext:
No free software
No installing apps from the Web
No sharing music or books
We can remotely disable your apps & media

Der nächste konsequente Schritt wäre dann, dass das "goldene Kalb des DRM" schließlich demnächst auch noch auf die UNIX-Oberflächen der PCs und Notebooks "aufgesetzt" würde. Na vielen Dank auch!

ATRIUM

Dienstag, 19. Januar 2010

3-D: Die normative Kraft des Faktischen – oder:
Wie man einen neuen 'Default' setzt

Gerhard Midding berichtet in der Januar-Ausgabe 1.10 des schweizer Filmbulletin auf Seite 5 unter dem Titel "Die Ästhetik des Projektils" von einer Pariser Tagung zum 3-D-Kino, an der als "Chief-Evangelist" Lenny Lipton teilnahm. Das Bemerkenswerte an der von Midding berichteten Argumentation war die rhetorische Frage, ob denn Woody-Allen-Filme wie "Whatever Works" nicht besser nur als Tonfilm ohne Farbe in Schwarz-Weiß funktionieren würden -- und warum zum Beispiel dieser eben in Farbe sei: "Das Publikum gehe eben nicht mehr in Schwarzweißfilme". Und so dann auch die konsequente Schlussfolgerung: "In einer kapitalistischen Demokratie werde sich alles durchsetzen, was Profit bringt". So setzt man neue Defaults. Die Frage, ob mit der 3-D-Technik eher eine "epischere" Darstellungsweise (wie in Videospielen oder Breitwand-Tableaus) sich wieder oder neu als dramaturgisches Paradigma einstellen wird -- oder aber, ob nicht im Gegenteil eine Beschleunigung des filmischen Raums mach- und umsetzbar sei, bleibt offen.

ATRIUM

hauptstadtkulturfondspositionenwechsel

Die Berliner Zeitung berichtete gestern online mit einer dpa-Meldung die Neubesetzung der Kuratorenposition des "Hauptstadtkulturfonds" mit Hans-Helmut Prinzler per April 2010. Es ist wirklich beruhigend zu wissen, dass sich in Berlin bestimmte Dinge auch durch anstrengende Zeitläufe hindurch strukturell nicht ändern, dass man also nicht nur Einflussmacht in Akademien als 'Stellvertretender Direktor', Aufsichtsratpositionen in Ö-R-RFAs und öffentliche Verteilungspositionen als Kulturentscheider im Multitasking-Modus mit problemloser Leichtigkeit und vor allem wirklich ohne Interessenkonflikt verwalten kann -- und vor allem, dass das Berliner "old boys"-Network immer noch ganz hervorragend funktioniert.

ATRIUM

Samstag, 9. Januar 2010

Dave Kehr über 3-D im Kino

Auch Dave Kehr hat sich gerade unter dem Titel "3-D’s Quest to Move Beyond Gimmicks" zum 3-D-Boom und "Avatar"-Durchbruch in der NYT geäußert, wesentlich 'softer' und oberflächlicher als Thomas Elsaesser, aber immerhin sehr skeptisch, ob es dramaturgisch gelingen wird, diese 'Technik der kleinen Schritte' im Erzählkino ohne Spezialeffekte – also etwa in Historiendramen, Komödien und anspruchsvollen Autorenfilmen – beim Publikum akkulturierbar zu machen.

Kehr hatte eine Woche zuvor bereits, ebenfalls in der NYT, seine Bedenken zum Verlust von weiten Teilen des Repertoirs durch den Technikwechsel von der DVD zur Blu-Ray (auch ganz ohne 3-D-Erweiterungen) niedergeschrieben. —— Unter dem Titel: "The Ballad of Blu-ray and Scratchy Old Film" befürchtet er eine erneute Einengung des überlieferbaren Werk-Kanons, wie es sie bereits beim Technikwechsel von VHS zur DVD gegeben hat. Kehr sieht allerdings Lösungsansätze im medienträgerfreien Onlinevertrieb, wenn alte TV-Sendebänder und -Filmabtastungen (als Vorlage zur einstigen VHS-Duplizierung) für Streamingformate einer neuen Nutzung zugeführt werden, und somit die Vielzahl der Vertriebsmöglichkeiten den Repertoire-Verlust durch die BluRay-Technik wieder wett machen können. Was natürlich auch ein Treppenwitz ist: Die Verbesserung der direkten Nachfolgetechnik führt zur Verschlechterung des Programmangebots.

Hinzu tritt die Vermutung, dass mehr als fünf Jahre nach der Vorstellung der HD-Silberscheibentechnik wohl keine 10 Jahre mehr (wie einst bei der DVD) zur "Akkulturation" der Technik im Heimmarkt zur Verfügung stehen werden, wenn SONY etwa binnen kurzer Zeit seine neuesten proprietären Scheibenergüsse in inkompatibler Mehrschichten-Speicherungstechnik baldigst vorstellen dürfte –– sofern dann überhaupt noch 'Scheiben' statt 'Chips' zur Anwendung kommen. Siehe dazu auch die gerade erfolgte Ankündung von HDCAM-SR-Speicherchips.

Kehr argumentiert allerdings in eine ähnliche Richtung, wie ich bei meiner Anmerkung zum Thema "Die Fallstricke des Offensichtlichen": Die höheren Auflösungsparameter der digitalen Medien lassen Film nicht nur sprichwörtlich "alt" aussehen; die Frage der Auflösung oder Artefaktfreiheit wurde beim 35-mm-Kinofilm im Jahrhundert seiner Anwendung jedoch nie gestellt, weil die 'Analogen Klassenverhältnisse" einst klar und unanfechtbar waren -- und die 35/70-mm-Kinoprojektion eben unanfechtbar die Königs- und Kaiserliga im damaligen, analogen Medienfeld waren. "Weiße Blitzer" vom Staub auf dem Negativ und sichtbar geworden beim Kopieren auf Positivfilm adelten den Medienträger ein zusätzliches Mal (statt billigem Bewegtbild vom Videomaterial). Dem 35-mm-Kinofilm etwa einen 'Mangel an digitaler Matrix-Auflösungskapazität' zu unterstellen, zeugt von besonders fortgeschrittener, geschichtlicher Umnachtung.

Digitale Unkultur ist gerade beim Präsentieren, Referieren und Referenzieren von Geschichtlichem vor allem eines nicht: hermeneutisch.

ATRIUM

Donnerstag, 7. Januar 2010

Alexander Kluge kennt Auswege aus der Gegenwart

Wo wir gerade bei "beeindruckenden Essays" zur Digitalen Kultur und den daraus drohenden Gefahren sind: hier die Text-Transkription eines beeindruckendes Gesprächs der "Freitag"-Redaktion mit Alexander Kluge via Skype-Videophon (online gestellt Weihnachten 2009, geführt wohl Mitte (18.?) Dezember 2009) und auch als Videostream via dctp.tv.

ATRIUM

Warnung vor dem Schwanz, der mit dem Hund wedelt

Thomas Elsaesser hat in epd-Film, Ausgabe 01/10, ein beeindruckendes Essay zum Digitalen 3-D-Kino veröffentlicht. Er argumentiert, dass hier mit aller Gewalt der erweiterte "military-surveilance-entertainment complex" eine neue Standard-Voreinstellung unserer technologischen Wahrnehmung setzen will, als Teil eines neues Paradigmas für die Kontroll- und Überwachungsgesellschaft. Auf der Strecke bleiben dabei humanistische Werte wie "Introspektion, individuelles Bewußtsein und persönliche Verantwortlichkeit".

Dieses Essay belegt mir implizit den langen Weg von der ersten Euphorie gegenüber der Digitalen Kultur am Anfang der Jahrhunderts, wie ich sie bei ihm an der Universität Amsterdam anlässlich einiger Besuche bei Kolloquien erlebt habe, hin zu einer tiefgreifend kritischen Sicht auf die technologischen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen, denen nicht nur das Kino sondern immer weitere Bereiche der bisherigen Kultur und des Humanismus seit einigen Jahren ausgesetzt sind.

3D im Kino und als neue Bildoberfläche in den anderen visuellen Darstellungsformen ist damit alles andere als harmlos.
Was setzt man also dagegen außer Ignoranz?
Digitale Unkultur wird zu einer Angelegenheit des Widerstands.

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Walter Jonigkeit und Günter Peter Straschek gestorben

Rüdiger Suchsland hat bei "artechock" einen Nachruf auf Walter Jonigkeit veröffentlicht. Zum Tod von Günter Peter Staschek hier ein Nachruf von Jean-Pierre Gutzeit:

Günter Peter Straschek ist - neben den Nachrufen auf die Filmtheaterpatriarchen der Frontstadt Westberlin - auf der ganz anderen Seite der Skala ebenso für zeithistorische Einschnitte der Stadtgeschichte und unter den "Charakter"-Persönlichkeiten erinnerungswürdig.

Er war einer der "religierten" Studenten der frühen dffb (Deutsche Film und Fernsehakademie): 19 angehende Regisseure wurden bei einer Besetzung des Direktorenbüros zwecks Herausgabe ihrer Filmmaterialien aus der Akademie "rausgeworfen" und erhielten vom Direktor Heinz Rathsack, späterhin Direktor der Deutschen Kinemathek und als "sozialdemokratisch-intolerant" verrufen, Hausverbote. Ausgenommen davon waren Wolfgang Peterson und Michael Ballhaus (Dozent für Kamera), die ja später in USA Karriere machten. Neben Straschek gehörten Hartmut Bitomsky (ein vorzüglicher Filmtheoretiker) und Harun Farocki (bekannt für seine den "militärisch-industriellen Komplex" entlarvenden Dokumentarfilme) zu den Religierten.

Mit Farocki bediente sich Straschek der Dienste des Kameramanns Holger Meins, dessen eigene Regiearbeit BAU EINES MOLOTOW-COCTAILS einen Tag nach einer Aufführung für zerberstende Schaufenster in den Büros der "Berliner Morgenpost" (Springer-Konzern) animierte.

Straschek, eigentlich Österreicher, war ein Filmkommunist der sanften Sorte, der die Integration der "Filmavantgardisten" in die "proletarischen Betriebe" dem Aufruf zu direkten Revolte vorzug [für die es in Westdeutschland auch nie einen Rückhalt gegeben hätte].

Seinen Film EIN WESTERN FÜR DEN SDS [Sozialistischer Deutscher Studentenbund], den er beim "Go-in" in das dffb-Direktorat aus den dortigen Tresoren zurückverlangte (die dffb-Studentenfilme galten als Eigentum der Institution) konnte später nur noch aus Schnittresten textuell annähernd rekonstruiert werden.

Straschek schilderte seine dffb-Erinnerungen in der berühmten August-Ausgabe der von Enno Patalas gegründeten Zeitschrift "Filmkritik" von 1974, in der er die "opportunistischen" Zustände der westberliner Filmererziehungsbehörden geißelte und auch den Wankelmut solcher Dozenten wie Ulrich Gregor (Filmtheoriedozent und späterer Mitbegründer des "Kino Arsenal") mitsamt seinem "Sozialdemokratismus" als Unterwerfung unter das "Establishment" beschrieb.

Das Schlagwort "Charaktermaske" war in dieser Zeit noch sehr geläufig, und die Erfahrungen aus dem Vietnam-Krieg, des Schah-Besuchs in Westberlin wie auch der unbelehrbaren Elterngeneration radikalisierten ab 1967 die berliner Filmstudenten - sie mündeten in der "Außerparlamentarischen Opposition" (APO), und führten bei Holger Meins und Ulrike Meinhof in den militanten Untergrund.

Straschek drehte später für den NDR eine Serie zur deutschen Exilantenforschung und betrieb seine Recherchen - weit über dem Niveau der heutigen Deutschen Kinemathek und deren Wiedergutmachungsprojekt 2011, dem sog. "Boulevard der Stars" - bis zu seinem Tod im September 2009 [der erst jetzt bekannt wurde].
Trotz der Politisierungen war er weniger ein Bewunderer des Essay-Films als des "synthetischen Spielfilms" [sprich: professionell gemachter Genre-Filme].

Bekannt geworden ist auch seine Monographie "Handbuch wider das Kino". Eine größere Publikation zu den Exilanten war über viele Dezennien geplant gewesen. Straschek war zuletzt Einzelkämpfer, der durch seine Neigung zu leicht rigoros-distanziertem Gestus jedwedem Establishment widerstrebte und mit seiner Exilantenforschung ein unvollendetes Werk hinterläßt.

CINERAMA

Freitag, 1. Januar 2010

Bewußtseinssprung: Tierische Pflanzen

Zu meinem Blogeintrag "Mein Schimpanse ist von Beruf ein Logistiker" vom 14.03.2009 über menschliches Bewußtsein bei Tieren und tierisches Bewußtsein bei Pflanzen wäre nachzutragen, dass der Deutschlandfunk sich in drei Sendungen einem erweiterten Verständnis des Bewußtseinsprungs in unserem Verständnis eines "pflanzlichen Bewußtseins" widmete. Zu finden: hier, hier und hier.

ATRIUM

Unumkehrbarkeit der Digitalen Kultur ?

Während die Digitale Kultur seit einigen Jahren wie eine Dampfwalze über analoge Lebenszusammenhänge hinweg schredderte, erzeugt sie selbst den Eindruck unumkehrbar und ohne Alternative zu sein. Der digitale Zeitpfeil geht schnurstracks immer weiter, geradeaus. Kritik und Einspruch sind nicht erlaubt, weil Evidenzerfahrung allenthalben. Dabei sind die beiden kardinalen und technischen Eckpfeiler der Digitalen Kultur bislang ohne jegliches Fundament: Weder ist der Langzeiterhalt von digitalen Daten auf Medienträgern gelöst, noch eine Lösung in Sicht, wie man unter Zinkpest-Bedingungen eine digitale Infrastruktur aufrecht erhält, wenn Hardware-Industrien in Ermangelung an Nachschub knapper Metall-Rohstoffe keine Massenware mehr produzieren können. Herstellung von Computer-Chips als Einzelstücke in Manufakturen? Wohl eher kaum. Auf so etwas eine Zivilisation ohne analoges Fallback aufzubauen, ist mehr als tollkühn.

ATRIUM