Freitag, 31. Dezember 2010

Abgänge und Verabschiedungen 2010

Publizistisch bleibt für die Reststunden dieses Jahres noch eine Liste mit den Verlustanzeigen und den Abgängen für 2010 zu erstellen: kein Anspruch auf Vollständigkeit, aber mit viel Zuneigung zu den subjektiv vermissten Lieblingen.

Zu trauern galt es dieses Jahr im Bereich der Filmproduktion zum Tod von:
Arthur Penn
Blake Edwards
Eric Rohmer
Claude Chabrol
Werner Schroeter
Joseph Strick, u.a. Regisseur von "Ulysses" und des "Wendekreis des Krebses"
Ronald Neame, UK-Allround-Regisseur
Irvin Kershner
George Hickenlooper
Corey Allen
David L. Wolper, Produzent u.a. von "Roots"
Robert F. Boyle, Produktions-Designer
Dede Allen, Editorin
Sally Menke, Editorin und rechte Hand von Tarantino
William Lubchansky, DOP
William A. Fraker, DOP
Irwin Rosten, US-Dokumentarfilmer
Peter Brunette, Filmpublizist
Abschied nehmen hieß es um folgende Schauspieler:
Jean Simmons
Tony Curtis
Dennis Hopper
Jill Clayburgh
Peter Graves
Liam Nielsen
Pernell "Bonanza" Roberts
Simon MacCorkindale, "Tod auf dem Nil"-Darsteller
Peer Schmidt
Dagmar Altrichter, sonore Synchronstimme
Heidi Kabel
Heinz Weiss
Frank Giering
Bruno S.
Petra Schürmann
Die Berliner Kinoszene vermisst nun:
Walter Jonigkeit
Bei den technischen Pionieren starben 2010:
H. Edward Roberts, der Mentor des MITS Altair, mit dem die Heimcomputer und PCs anfingen
Max Palvesky, Computer-Pionier bei Bendix, Packard Bell und SDS
Fritz Sennheiser, der Sennheiser von Sennheiser
Walter Haeusermann, NASA-Raketenbauer
Im deutschen Fernsehen fehlen nun folgende Stimmen, Profile und Gesichter:
Dieter Meichsner
Rüdiger Proske
Horst Jaedicke
Lothar Loewe
Gerhard Lenz
Hans-Joachim Rauschenbach
An deutschen Radiostimmen, vor allem im "wilden Süden", starben 2010:
Fred Metzler
Günter Freund
Heinz Siebeneicher
Die Kunst-, Design- und Architekturwelt trauerte um:
Ernst Beyeler
Sigmar Polke
Nicolas Hayek
Günter Behnisch
Im Bereich der Fotografie starben:
Dennis Stock
Herman Leonard
Hannsheinz Porst
Bei den Forschern, Publizisten, Schriftstellern und Poeten wird die Liste wieder länger:
Harry Mulisch
Thomas Harlan
Raimon Panikkar
Hermann Scheer
Katharina Rutschky
Erich Segal
J. D. Salinger
Peter Orlovsky, auch Muse von Allen Ginsberg
Howard Zinn
Alice Miller
Benoît Mandelbrot
Swetlana Geier, "die Frau mit den fünf Elefanten"
In den Bereichen 'Society', Politik und Zeitgeschehen hieß es Abschied nehmen von:
Elisabeth Noelle-Neumann
Knut Hauglang, einer der "Helden von Telemark"
Hanna-Renate Laurien
Juan Antonio Samaranch
Fritz Teufel
Christoph Schlingensief
Gerold Becker
Theo "Aldi" Albrecht
Bärbel Bohley
Oswald Kolle
Thomas Fuchsberger
Loki Schmidt
Bob Guccione, "Penthouse"-Gründer
Richard Holbrooke
Alexander Haig
Nestor Kirchner
Und schließlich trauerte man um folgende Musiker, Komponisten, Dirigenten und Präger von Ballett und Oper:
Henryk Gorecki
Erwin Lehn
Peter Herbolzheimer
Otmar Suitner
Charles Mackerras
Wolfgang Wagner
Anneliese Rothenberger
Joan Sutherland
Lolita
Maria Hellwig
Peter Hofmann
Bobby Farrell
Mitch Miller, der US-amerikanische "Gotthilf Fischer"
Walter Sear, Tonstudiobetreiber in NYC
Arnold Spohr, Gründer und Intendant des Royal Winnipeg Ballett
Lena Horne
Hank Jones
Bill Dixon
Abbey Lincoln
Gregory Isaacs

JP
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Donnerstag, 30. Dezember 2010

Franz Stadlers Last Picture Show

Nicht nur das Berliner Blatt "B.Z.", sondern auch die taz berichtete von der Betreiber-Übergabe des Berliner Filmkunst 66 (und 66 1/2) von den Stadlers an Regina Ziegler und ihre Tochter:
http://www.taz.de/1/berlin/artikel/1/rollenwechsel-im-filmkunst-66/

In der Tat muss es eine Herzensangelegenheit gewesen sein, sein Haus nicht an die 'üblich Verdächtigten' übergeben zu müssen, um das Lichtspieltheater in seinen beiden Sälen mit einigermaßen Stil weiterführen lassen zu können.

Ein weiteres filmemacherundproduzenten-betriebenes Kino (wie auch das Toni durch Michael Verhoeven) ist für Berlin grundsätzlich sehr zu begrüßen. Ein weiterer Lichtblick für das zu Ende gehende Kinojahr 2010.

JP

Mittwoch, 29. Dezember 2010

Kompliment an Mr. Steeds neue Stimme in Schwarz-Weiß !

ARTE spendiert zum 50. Jubiliäumsjahr derzeit eine neu-synchronisierte Erstaufführung der Staffeln 1 - 3 von "The Avengers" (bzw. 'was vom Tage übrig blieb'):

http://www.arte.tv/de/film/Mit-Schirm-Charme-und-Melone/3553048,CmC=3568612.html
http://www.arte.tv/de/film/Mit-Schirm-Charme-und-Melone/3553048,CmC=3555576.html

So heikel späte Neu-Synchronisationen mit neuen Sprecherstimmen oder gar Sprecherwechsel (wie im Falle Gerd Martienzen/Louis de Funès oder Mandfred Schott/Dustin Hoffman) auch sind, diese Neusynchronisation durch die "hs Hamburger Synchron" ist wirklich hörenswert, nicht nur wegen ihres liebevollen Umgangs in Sachen Stimmenauswahl, Stimmspiel und Intonation (im auch gerade dort nachwirkenden und spürbaren 'Faible', wir Deutschen seien in Wirklichkeit die besseren Briten), sondern ist auch deswegen höchst hörenswert, weil die Tonmeister der 'hs' an ihren EQs so kreativ herumgedreht haben, dass die Neusynchro der Stimmen nach Schwarz-Weiß-TV klingt. Also nicht nach Kino-Lichtton mit Knistern und nicht nach digitalem Pappstudio, sondern nach Schwarz-Weiß-TV aus der Magnetepoche der analogen Elektroära. Da muss man erst mal drauf kommen: Mein Kompliment, Herr hs-Toningenieur, so machen deutsche Synchros Spass!

JP

Das Kinojahr 2010 und die Berliner Bikini-Wandlung

Wie man heute der Berliner Zeitung
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2010/1229/b...
und der Berliner Morgenpost
http://www.morgenpost.de/printarchiv/berlin/article1494670/Letzter-Vorhang-fu...
entnehmen kann, schließt heute der Berliner Zoo-Palast seine Pforte für einen Komplett-Umbau der gesamten Zoo-Spange (bis zum blauen Kugelexkino) unter dem neuen Motto "Bikini Berlin".

Dass zumindest Teile dieses "Kino-Landmarks" bzw. überhaupt öffentliche Formen von KINO dort erhalten bleiben durften, scheint eine letztlich glückliche Fügung zu sein, zumal nach Fertigstellung des Umbaus ab voraussichtlich 2012 Hans-Joachim Flebbe neuer Pächter des Kinos geworden ist. Allerdings darf man fragen, wie eine Raumqualität und die entsprechende Leinwanderfahrung erhalten werden kann, bei der das Auditorium im Hauptsaal von 1.700 Plätzen auf 850 schrumpfen muss; spannend auch, was vom "Atelier am Zoo" letztlich übrig bleiben wird und wie man sich dann eines der sieben neuen Zoo-Palast-Kinos mit 50 Plätzen vorstellen darf. Wenn das alles noch Herr Knapp, mit dem ich 1983 mal telefonierte, mitbekommen hätte (vor allem die 17 Jahre Zoo-Palast unter UCI!)…

Obwohl noch gut zwei Jahre in der Zukunft: Welches Kinobetriebskonzept wird für das neue Zoo-Kinoensemble tragfähig sein, so schräg gegenüber der Astor Kino-Lounge? - Und wie wird sich die Charlottenburger Programmfarbe unter Flebbe entwickeln, gerade im neuen Kino-Großtrend des "buffo", den Jan Schulz-Ojala in seinem Rückblick auf das deutsche Kinojahr 2010 im Berliner Tagesspiegel konstatiert?
http://www.tagesspiegel.de/kultur/ein-ungewoehnliches-kinojahr/3683266.html

Im Vergleich dazu die beiden US-Kino-Jahresrückblicke von MANOHLA DARGIS unter dem Titel
"The Revolution Is Being Shot on Digital Video"
http://www.nytimes.com/2010/12/19/movies/19dargis.html
und von STEPHEN HOLDEN (Titel: 'Motivators of 2010: Technology and Greed"') in der New York Times:
http://www.nytimes.com/2010/12/19/movies/19holden.html

Jedenfalls scheint die große 3D-Umstellungswelle des Kinos und seiner Filme zum Jahresende 2010 unterbrochen zu sein, zumindest bis zum nächsten 3D-Kinokassenschlagertitel und bis man auf der Berlinale 2011 dann "Pina" von Wim Wenders präsentiert bekommt.

Für mich erstaunlich, dass der Filmstreifen in der Kinopraxis nach wie vor zu weiten Teilen im Einsatz ist -- und wie gut die Displayqualität von heimischen Flachbildschirmen mit 107-cm-Bildschirmdiagonale und mit einer Auflösung von 1080 x 1920 Bildpunkten für wenig Geld mittlerweile ist. Man darf also auf die Kinoentwicklungstendenzen in der neuen Dekade, in den 2010er-Jahren, gespannt sein.

JP

Sonntag, 12. Dezember 2010

Der Goldene Handschlag

Noch nie war das Lesen von Rundfunkbilanzen so spannend wie heute.

Denn: Rüdiger Suchslands Beitrag "Die Selbstabschaffung des deutschen Fernsehens" bei Telepolis vom 08.12.2010 mit dem Aufhänger einer Vermutung des Aufwands des Ö-R Rundfunkssystems für die Zusatz-Altersvorsorge seiner Mitarbeiter
http://www.heise.de/tp/blogs/6/148896
hat für ziemlichen Wirbel gesorgt.

So etwa bei Stefan Niggemeier in seinem BILDblog:
http://www.bildblog.de/26069/lolas-rente/

Nach dem Studium der KEF-Zahlen hat Rüdiger Suchsland seine ursprüngliche Vermutung in einer persönlichen Stellungnahme relativiert und bei der Prozent-Vermutung zurück genommen:
http://www.heise.de/tp/blogs/6/148922

Es sind nun doch keine 50 Prozent des Gebührenaufkommens, die zur Aufstockung des gesetzlichen Rentenaufkommens durch Betriebsrenten verwandt werden. Denn für 2010 sind dies lt. Suchsland gem. KEF ["Aufwendung für die Altersversorgung der Rundfunksanstalten" (S.85)] doch nur 570 Millionen Euro (brutto) als Gesamtbetrag [für ARD, ZDF und DRadio], was angeblich lt. Niggemeier gem. KEF nur 5 Prozent des Gebührenaufkommens seien. Nimmt man den den Niggemeierschen Ansatz und zudem den Dreisatz zu Hilfe, dann würde das Gebührenaufkommen bei 11 Milliarden und 400 Millionen Euro liegen. Tatsächlich liegt die Prognose des KEF für 2009 - 2012 aber bei 33.804 Millionen EURO, also bei rund 8.451 Millionen EURO an Gesamteinnahmen pro Jahr der Periode. Prozentual liegt damit der Aufwand für Altersvorsorge, bezogen auf die Gesamteinnahmen, bei knapp 7 Prozent. Gesamteinnahmen beinhalten allerdings Werbeerlöse. Daher liegt der Aufwand für Altervorsorge bezogen auf die Gebühreneinnahmen wohl höher als 7 Prozent.

Allerdings kippt das Bild, wenn man die aktuellen Aufwendungen für Personalkosten mit den Aufwendungen für Altersvorsorge vergleicht.

Denn es stehen 1.666 Millionen Euro an Personalkosten (ohne Altersvorsorge) [lt. 17. KEF-Bericht, für 2009 - 2012, zitiert von Suchsland] für vier lange Jahre 553 Millionen Euro an Altersvorsorge für ein Jahr (bei ARD+ZDF) gegenüber. -- 416,5 Millionen Euro pro Jahr an Personalkosten gegenüber 553 Millionen Euro an Altersvorsorge. -- Das heisst also: die Altersvorsorge ist höher als die aktuell zu erbringenden Personalkosten.

Der so offensichtlich in KEF-Berichten schlummernde Skandal ist also nicht die falsche Annahme, dass vom Gesamtgebührenaufkommen angeblich rund 50 Prozent in Altersvorsorgeleistungen gingen; -- das, was zu der Disput zu Tage brachte, ist also die Tatsache, dass die Vorsorgeleistungen höher sind als die aktuellen Aufwendungen für Personalleistungen.

Und damit stimmt allerdings aber die Annahme, dass Altlasten aktuelle Produktivspielräume drastisch und erheblich einschränken, was eben zu "cheap programming" führt. Denn das Budget von knapp über 80 Millionen Euro an "Programmbedarf" pro Jahr ist für die vielen Vollprogramme von ARD und ZDF (ARD, ZDF und digitale Spartenkanäle, KiKa, Phoenix, 3SAT, 3. TV-Programme der einzelnen ARD-Anstalten, gesamtes ÖR-Radio) wirklich nicht besonders viel, gerade beim vorherrschenden Programm-Outsourcing-Druck.

Insofern war Rüdiger Suchslands Beitrag diskurs-anregend und sehr zu begrüßen.

Mit Leopold Kehr würde ich sagen: der Bezugsrahmen ist von der Skalierung her zu groß, weil der zunehmende, systemische Verwaltungs- und Vorsorgeaufwand die Produktivität seiner Einzelkomponenten insgesamt zu ersticken droht. Man könnte es auch so formulieren: Die in den 1950er-Jahren konzipierten Fernsehtheater-Anstalten mit angeschlossener E-Kamera, Werkstätten und Hausmeister wirken in ihrer vollen Ausdifferenzierung nach rund 50 - 60 Jahren inzwischen in einer rundherum parzellierten Medienlandschaft seltsam deplatziert, aus einer anderen Zeit.

Wenn man nach vorne denken möchte: Wie sähe ein "public broadcasting" auf der Höhe der Zeit eigentlich aus, gerade in seiner institutionellen Basis?

JP

Samstag, 11. Dezember 2010

Spielsucht beim Kinderkanal

Was fällt dem erfahrenen Kenner der Kölner Verhältnisse eigentlich zum Thema "Spielsucht bei Tochtergesellschaften von Rundfunkanstalten" ein?


http://www.faz.net/s/Rub510A2EDA82CA4A8482E6C38BC79C4911/Doc~EC382EB412FC64B0...

JP

Damals: "Auf der Suche nach der Welt von morgen"

Als in den 1960er-Jahren die Welt noch eine Zukunft hatte und diese aufregend zu werden drohte, auf dass man sich unbedingt auch mit den Mitteln der Fernsehdokumentation damit beschäftigen musste, da war man "Auf der Suche nach der Welt von morgen". Autor dieser TV-Reihe des NDR mit insgesamt 82 Folgen (gesendet über einen Zeitraum von 25 Jahren, 1961 – 1986) war Rüdiger Proske, der kurz vor Vollendung seines 94. Lebensjahres am 10.12.2010 nun verstarb. Für die technisch-soziale Zukunftsforschung und ihre publizistische Aufbereitung im Nachkriegs-Westdeutschland war Proske neben Robert Jungk die prägende Gestalt. Schon damals in den 1960er-Jahren funktionierte der Medienverbund TV/Buch übrigens erstmals prächtig.

Was der Wikipedia-Artikel über Proske allerdings verschweigt, das ist die "Lex Proske", die eigentlich in keiner Geschichte des Öffentlich-Rechtlichen deutschen Rundfunk-Fernsehens fehlen darf, zum Thema "wie man sich damals als Freier Mitarbeiter seine Pensionsansprüche sichern konnte".

Die Verfügbarbkeit aller Folgen von "Auf der Suche nach der Welt von morgen" wäre wünschenswert, ein 'Zukunftstraum' -- so muss man sich derzeit mit einer geteilten Phoenix-Wiederholung von Folge 18 ("Das Jahr 2000", eine 'Untersuchung von Rüdiger Proske') auf Youtube.com als Muster und zur Anschaulichmachung des Sendungsformats behelfen.


Links:
http://de.wikipedia.org/wiki/Rüdiger_Proske

JP

WikiLeaks, nochmals

Welche Haltung nimmt man zum oktroyierten "WikiLeaks"-Phänomen ein?

Zum gegenwärtigen Phänomen der "WikiLeaks" wird derzeit ja allerorten reflektiert und theoretisiert.

Zum Beispiel hier:

http://www.eurozine.com/articles/2010-12-07-lovinkriemens-en.html

auf deutsch hier:

http://www.fr-online.de/kultur/debatte/die-anarchie-der-transparenz/-/1473340...

und als Antwort darauf hier:

http://cryptome.org/0003/wikileaks-six.htm

Unter'm Strich wird durch die "Diplomatic Cables" das außerordentlich hohe Niveau US-amerikanischer Diplomatie dokumentiert und zwar unter Umgehung einer üblichen Sperrfrist von 40 Jahren, wie man es heute der NYT am Beispiel von Eisenhowers Abschiedsrede von 1961 zur begrifflichen Entstehung des "industriell-militärischen Komplexes" online entnehmen kann:

http://www.nytimes.com/2010/12/11/us/politics/11eisenhower.html


Darauf reagiert die US-amerikanische Staatsraison ganz unbeherrscht, etwa so, wie man es gerade am Beispiel Chinas in Oslo verfolgen konnte:

http://www.welt.de/debatte/kommentare/article11549982/China-fuehrt-den-Kampf-...


Statt leerem Stuhl gab's eben leere Bankkonten:

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33802/1.html


Wenn das Ziel der wiederholten Aktionen allerdings das Desavouieren, Bloßstellen und Beschädigen demokratischer Institutionen in den USA gewesen sein sollte, dann waren die bisherigen Aktionen als Provokation ein voller Erfolg. Es fragt sich nur: von wem veranlasst und von wem durchgeführt?


Im ganzen Diskurs um WikiLeaks fehlt mir bislang nämlich die Dimension der Handwerklichkeit:
Wie hat man sich den Datenraub also ganz praktisch vorzustellen?

1. Ein Eindringen mit Root-Rechten ins Allerheiligste des US-amerikanischen Außenministeriums, um die Datenbankinhalte samt Anwendungssoftware datentechnisch zu überspielen, um sie auf einem anderen Rechner neu zu installieren, damit man dann GB um GB in TB-Größenordnung in Ruhe "auswerten" kann -- und das ohne Spuren zu hinterlassen?

Möglich, aber wohl kaum durch 16-jährige Hobby-Hacker. Das klänge eher nach Profi-Teams, die den ganzen Tag wohl nichts anderes machen, als das - und die dafür auch die technische Infrastruktur der Kollaboration besitzen. Und über die Nachschlüssel, notfalls physisch auch ohne Datennetz an Daten gelangen zu können: Abschalten, vorübergehende technische Störung, lokale Überspielung, Wiederanschalten, Nichtsgewesen...

Oder aber die Außenamtsinhalte werden "aus Sicherheitsgründen" grundsätzlich gespiegelt, bei den "Sicherheitsbehörden".

2. Eine andere Möglichkeit: durch Joker und Skripte Massenabfragen der entsprechenden Datenbank(en) via Intranet zu starten, auf das eben möglichst viel im eigenen Netz hängen bleibt. Auch das eine Möglichkeit, wohl aber kaum ohne Spuren zu hinterlassen, die gerade bei zu viel "Asterisks" und anderen Jokern eigentlich ein Monitoring sofort hätte stoppen müssen und können, und die den Spuren der Datenlecks hätte nachgehen müssen. So sind es eben die bösen "anonymen" Hacker gewesen. Wo sind eigentlich die Logfiles des Datenraubs?


Wenn man (1.) ausschließt, weil es ja keine stärkere Parallelmacht als die demokratischen Institutionen im Staate gibt und überhaupt geben kann, dann bleibt Variante (2.) übrig. Dummerweise stellt sich damit dann seit 2001 ein weiteres und bereits sehr bekanntes, vertrautes Phänomen wieder ein: Pleiten, Pech und Pannen. Alle, die es hätten wissen können, haben versagt und die Bösen sind schuld.

Oder anders formuliert: das Weiße Kaninchen ist wieder da! Das Weiße Kaninchen ist immer dann nützlich, wenn man es gerade instrumentell braucht und aus dem Ärmel ziehen kann -- und es hat auch einen Namen und heißt: Osama Bin Assange. Statt weißem Bart eben weiße Haare.

Statt - wie vermutet - 9/11-Material gab's diesmal also "Diplomatic Cables". Die Aufregung um Nichts ist groß, die Sensibilität des Kairos ist künstlich erzeugt, gut gedüngt und weit verbreitet; bereit für den finalen Schlag. Man sollte mental vorbereitet sein. Westerwelles erspähter Begriff der "Spätrömischen Dekadenz" war im Außenamt schon richtig erahnt, nur vollkommen falsch gezielt, irgendwie im falschen Kontinent. Denn hier wird bereits aus einer fallenden Lage heraus operiert. Pfründe, die man weiter behalten möchte, drohen verloren zu gehen, weil sie schon verloren sind. "Follow the money", sagte Deep Throat damals...

JP

Freitag, 10. Dezember 2010

Neue Kinoformen: 'Prima Cinema' und 'Secret Cinema'

Dass das Kinobetriebskonzept der "Astor Film Lounge" in Berlin durch Flebbe für mich lediglich eine Art 'Business-Class' darstellte, provozierte Fragen, wie mann sich denn eine "First Class" der Kinoerfahrung vorstellen könnte.

Seit einigen Tagen kann man das jetzt durch einen Bericht des 'Wall Street Journals' erahnen: Einstandpreis 20.000 US$ für die Geräte-Installation und 500 US$ pro Filmpremieren-Vorstellung, zeitlich parallel zur allgemeinen Kinobespielung durch öffentlich angekündigte Wochenprogrammierung.

Links:
http://online.wsj.com/article/SB10001424052748704250704576005801366116290.htm...
http://www.primacinema.com/

Interessant wäre schließlich zu wissen, welche Rechte man sich bei "Prima Cinema" mit dem Obolus erkauft; wie offen also das Heimkino sein darf -- und wie man denkt, "lavish parties by invitation" zu beschränken, wenn keine Rechteübertragung stattfindet.

Der Übergang zwischen privatem Heimkino für Isolierte, SocialWebsite-Events "by invitation" und etablierten Kinos mit beworbenem Wochenprogramm dürfte damit bald fließend werden. Die aufziehende Bedrohung für das "Kino, wie wir es noch kennen" ist weniger eine der Piraterie, wie als Reaktion auf 'Prima Cinema' befürchtet, sondern eher eine der Konkurrenz durch neue Kinobetriebskonzepte.

Hanns-Georg Rodeks Kritik an "Prima Cinema" bei welt.de
http://www.welt.de/kultur/kino/article11510778/Kino-darf-nicht-zum-Luxusgut-v...
als einer Art "cinema for the riches" unter dem Titel "Kino darf nicht zum Luxusgut verkommen", denkt dabei viel zu kurz.

Denn die Gegenbewegung von den 'Graswurzelleuten des Kinos' arbeitet bereits fleissig, wie ich einem Bericht bei "Talking Pictures" auf BBC World Service TV im November entnehmen konnte: "Secret Cinema" als Internet-basierte Volksbewegung in UK - die Location machts!

Links:
http://www.casttv.com/video/thxa9st/secret-cinema-bbc-talking-movies-november...
http://www.secretcinema.org/

Das Kino des 21. Jahrhunderts wird gerade erfunden und es ist ein Experimentallabor sozialer Bewegung, sich Publika neu zu finden und sie zu erfinden.

JP

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Die Pensionslücke und das Gleich-Licht des Öffentlich-Rechtlichen deutschen Fernsehens

Rüdiger Suchsland hat heute in der eZine "Telepolis" einen Beitrag mit dem Titel "Die Selbstabschaffung des deutschen Fernsehens" veröffentlicht, der sehr lesenswert ist:
http://www.heise.de/tp/blogs/6/print/148896
Die Vermutung, dass vom Gesamt-Gebührenaufkommen bald deutlich mehr als 50 Prozent in Rentenleistungen an ehemalige Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufgewendet werden muss, ist mir nicht neu; ich hatte bei den "Berliner Kinoperspektiven" bereits am 21. April 2009 unter dem Blogeintrag "Helmut Lehnert, Radio Multikulti und der Pensionslückenfonds" auf die vermeintliche und vermutete Pensionslücke im Ö-R deutschen Fernsehen hingewiesen, die dem Programmauftrag entzogen wird. Cay Wesnigk von der "AG Dok" hatte bereits vor einigen Jahren auf dem Branchentreff "Dokville" ebenfalls Vermutungen in diese Richtung angestellt.
Was dem Fernsehen als Medium unter dieser Bürde und den damit verbundenen Selbstauflösungstendenzen in der Programmleistung droht, ist schwierig einzuschätzen.
Es wird freilich irgendwann unausweichlich der Punkt kommen, an der man sich der Pensionsproblematik radikal stellen muss; und die vernünftigste Antwort könnte nur die Einführung einer steuerfinanzierten Grundversorgung in Aberkennung von ehemals höheren Pensionsversprechen sein.
Programmlich sollte man das Fernsehen den Redakteuren aus der Hand nehmen und Social-Web-seitenbasiert dem Publikum überantworten. Es kann dadurch nur besser werden; einfach auch durch die Tatsache begründet, dass die Zukunft des Öffentlich-Rechtlichen deutschen Fernsehens seine Vergangenheit ist, wie man an dem Füllhorn der DVD-Veröffentlichungen sieht. Ein weiterer Skandal, dass bereits bezahltes Programmvermögen in privatrechtlichen Tochtergesellschaften durch Disk-Veröffentlichungen nochmals zu Geld gemacht wird. Der Widerhall mit sensationellen Verkaufszahlen an "ollen Kamellen" lässt das Vakuum an nicht-gesendetem Programmvermögen in den Archiven erahnen -- und den Bedarf, der daran - sei es aus Sentiment, Nostalgie oder kulturgeschichtlicher Neugier - offensichtlich besteht.
Vielleicht bekämen wir bei einer nachfragegesteuerten Programmierung des Ö-R Rundfunks auch eher interessante und schwierige Dokumentarfilme zu Zeitfragen in der Hauptsendezeit zu sehen -- oder etwa die nachwachsende Generation eine Einführung in die Geschichte des fiktionalen Kinofilms, in die Spielfilmgeschichte durch systematische Retrospektiven, wie man in den 1970er-Jahren noch kannte. Schlechter wie jetzt kann es freilich nicht mehr werden, wenn man zwischen ein und drei Uhr nachts hellwach sein muss, um überhaupt noch ältere Spielfilme in gebührenfinanzierten Fernsehprogrammen sehen zu können.
Das Qualitätsfernsehen als Programmleistung darf also erst noch erfunden werden, sofern man es überhaupt denn noch braucht. Es benötigt nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, wie eine Synthese aus Facebook, Google-TV und iTunes-TV aussehen könnte. Jedenfalls haben beispielsweise "fluegel.tv", "Zeitzeugen-TV" und "DCTP" bewiesen, was "Fernsehen zur Zeit" auch bedeuten kann: Reden, Vorlesungen, Dialoge, Symposien, Podien, Schlichtungen - in ganzer Länge für Alle.
Ästhetisch wäre dann über das LICHT zu reden, der Voraussetzung überhaupt für die Kine-Fotografie. An einer Analyse des Lichts wäre abzulesen, warum im Deutschland der zwölf Filmschulen ein sensationeller Ausstoß der Menge nach an kreativem Nachwuchs produziert wird, der im Licht auf einem unglaublich hohen Produktionsniveau Filmwaren des Fernsehens herstellt, die letztlich vom Licht her alle fast gleich aussehen, wenn man dieses Licht einmal etwa mit Fassbinders "Alexanderplatz" vergleicht. Hans Hattop hat darauf jüngst in der Zeitschrift "KAMERAMANN" (12/2010, S.16f) hingewiesen: "Wenn ich mich durchs Fernsehprogramm zappe - ich habe die 20.15-Uhr-Schiene im Blick - ist das Styling sehr ähnlich." Es ist diese Blendung, die mich jeden Abend zum Abschaltknopf des Fernsehens drängt, weil ich dieses mit extremen Aufwand betriebene Gleich-Licht nicht mehr ertragen kann, das sich in und an den Figuren sowie Schauspielern der Ähnlichkeit spiegelt, die alle mit ähnlichen Stimmen und in ähnlicher Tonlage ähnliche Geschichten verkörpern.
JP