Montag, 2. April 2012

2012: 50 Jahre Oberhausener Manifest = 30 Jahre R.W. Fassbinder tot = 30 Jahre Romy Schneider tot = Deutschlandfunk im Stimmwechsel



Romy Schneider und Rainer Werner Fassbinder liegen 12 Tage auseinander, in ihren Todestagen im Spätfrühling des Jahres 1982. Sie verbindet, dass sich mit ihnen jeweils eine eigene Epoche der Spielfilmgeschichte dem Ende zuneigte, mehr noch: sie durch ihren Tod abgeschlossen wurde. Die Nähe in den Sterbedaten kommt nicht zufällig, sondern bereitet Künftiges vor: Bei Antonioni und Bergmann war es derselbe Tag; letztes Jahr war es mit Hirsch, Kreisler und Degenhardt nicht viel anders: eine Kulturgeschichte der gemeinsam Gestorbenen für die Verwirklichungen in der zukünftigen Präsenz.

Der Neue Deutsche Film, der durch RWF vor allem ein Junger Deutscher Film war, verlor seinen Zentaldynamo, den zentralen Antrieb und Transmissionsriemen; die deutsch-französische Doppelikone Romy Schneider beendete das Zeitalter der bundesdeutschen Filmschmonzette wie auch die des französischen Nachkriegsfilms. "DIVA" war hinfort die neue Ikone der postmodernen Schicklichkeit. An der Unfähigkeit, statt im eigenen Saft der piefigen "Family" notdürftige Schauspielerinnen zu "Stars" machen zu wollen, auf eigene film-geschichtliche Substanz mit Belastungen wie das Haus Schneider rückzugreifen und sich so Terrain beim Publikum zu sichern, ist kaum jemand der deutschen Jungfilmer gekommen.

So war es Bertrand Tavernier 1980 mit "Death Watch" gelungen, nicht nur das Leiden der Katherine Mortenhoe als Hereinbrechen der Mediengesellschaft in das persönliche, private und intime Schicksal hellsichtig als Schau der Zukunft schon in der Gegenwart, für uns heute, zu behandeln, sondern konnte in dieser deutsch-französischen Ko-Produktion, die bezeichnenderweise in einem dunkel-düsteren Glasgow ihren Schauplatz fand, neben Romy Schneider, Harvey Keitel und Harry Dean Stanton auch May von Sydow, Bernhard Wicki und Vadim Glowna besetzen. Vadim Glowna ist dieses Jahr gestorben. Als ich den Film 1980 in blickweitendem CinemaScope-Format sah, Wohlrabe brachte ihn mit seinem Jugendfilm-Verleih in die deutschen Kinos, hat er auf mich einen tiefen und düsteren Eindruck hinterlassen, was die unmittelbar bevorstehenden 1980er-Jahre betraf. Und düster und im Zeitgeschmack ohnesolchen waren sie dann auch – und verlustreich. Diese Dystopie verbindet sich mit der von der Fassbinder-Foundation jüngst herausgebrachte Filmedition von "Welt am Draht"; "Death Watch" und "Welt am Draht" sind beides Dystopien für eine aufkommende Zeit, der die Totalvernetzung und Omnimedialisierung drohte. Der Reflex auf Btx und Volkszählung war Anfang der 1980er heftig und noch ganz elementar.

"Death Watch" verbindet mit "Querelle", RWFs letztem Film, dass man beide Werke derzeit nicht in deutschen Videoeditionen (DVD, BD oder Online) beziehen kann, wohl aber – wiederum bezeichnend – in französischen Fassungen und Editionen. "Death Watch" war eine ZDF-Koproduktion; so bleibt verwunderlich, dass keines der vielen deutschen Indy-Labels sich dieses Films editorisch annehmen möchte.

Gespannt freilich darf man sein, wie Fassbinders bevorstehender 30. Todestag sein Echo in den Medien finden wird. Hans-Günther Pflaums fernsehdokumentarische Würdigung "Ich will nicht nur, dass ihr mich liebt" von 1992 stand noch ganz unter dem Schock der Verlusts; Rosa von Praunheims Würdigung aus dem Jahr 2000 zum 20. Todestag 2002 brachte den sozialen Kontext von RWFs Kunstfilmproduktion (und eben dessen Verlust) ins Gedächtnis. Umrangt wurde der 20. Todestag 2002 mit reichen TV-Retrospektiven auf ARTE, 3SAT und VOX begangen. Peter Berlings DCTP-Gespräch mit Alexander Kluge (Sendedatum 21.06.2002, VOX) zu den unverwirklichten Projekten des RWF macht weiterhin Neugier auf zu hebende Filmprojekt-Schätze, wie sich die Theaterstücke des RWF ja auch in anderen Kontexten wiederaufführen lassen. Kaum eine der TV-Dokumentationen zu RWF kommt freilich ohne Zitate von Peter W. Jansens TV-Interview mit RWF unter dem Motto der "Lebensläufe" aus dem Jahr 1978 aus. Peter W. Jansen befragte zur Berlinale-Retrospektive 2002 in einem Live-Gespräch vor Publikum zu den "European 60s" Edgar Reitz, warum es als Unterzeichner des "Oberausener Manifests" nicht möglich war, als damaliger Jungfilmer mit einem Siodmak oder mit einem Käutner anzuknüpfen. Nach einer Liste der bemerkenswerten Filme aus 1959 bis 1961 Jansens Frage: "Waren die Filme damals wirklich alle so schlecht?" – Schisma und Bruch als das verbindende kunstschaffende Element, eine deutsche Eigenart.

Praunheim machte sich in seiner erinnernden Ehrerbietung an RWF von 2000 auch an den ahnungslosen Passanten in einer Straßenumfrage heran: "Sagt Ihnen der Name Fassbinder etwas?" Der Passant verwechselte freilich den Namen Fassbinder mit einem österreichischen Koch.

Das kam mir in den Sinn, als mir seit Jahresbeginn beim Programmhören die vielen neuen, jungen Stimmen der Radiomoderatoren und Rundfunkjournalisten im Deutschlandfunk auffielen -- seit dem Wechsel der Programmdirektion und Chefredaktion im Hause DLF. Diese jungen Radioleute machen ihren Job alle sehr gelernt und gekonnt, doch fehlt ihnen für so viel Kanal-Seriosität in ihrer neuen forcierten Massigkeit leider die Erfahrenheit in der Stimmlichkeit bei aller ebenfalls gekonnten Stimmtechnik: die Sonorität, die entsprechende Tönernheit der gelebten Erfahrung in der Stimme. Ich stelle mir gerade vor, was sie, die 1980 bis 1985 Geborenen, zum Thema "Sagt Ihnen der Name Fassbinder noch etwas?" zu sagen hätten.

So ändern sich die Zeitperspektiven in den Kinoperspektiven.

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