Dienstag, 4. August 2009

Zuschrift aus dem Saarland.

Hallo Herr Polzer,

danke für den Hinweis auf den Tagungsbericht zur Stuttgarter Konferenz in Ihren Blog. Ich komme erst jetzt im Sommerloch dazu, mich dafür zu bedanken, daß Sie meine Wortmeldung als Vertreterin des Saarländischen Filmarchivs e. V. (SFA) als "Glanzpunkt dieser Diskussionsrunde" bezeichnet haben. Im Interesse des SFA will ich noch etwas im Blog-Text richtig stellen bzw. ergänzen; eigentlich sollte dies eine sehr kurze Mail werden, aber es gibt viel zu berichten:

Manchmal tut sich für das SFA überraschend etwas Positives. Unter dem jetzigen Künstlerischen Direktor der Deutschen Kinemathek, Dr. Rainer Rother, hat das SFA dankenswerterweise von dort bereits mehrfach wichtige Informationen und ideelle Unterstützung erhalten, vor allem durch Prof. Martin Koerber. Im Frühjahr 2009 wandte ich mich an das Netzwerk der deutschen Mediatheken mit der Bitte um Aufnahme des SFA, und dazu signalisierte mir kürzlich der Verwaltungsdirektor der Kinemathek, Dr. Paul Klimpel, man sei gerne bereit, das SFA aufzunehmen. Ich kann es beim nächsten Rundgespräch den Netzwerkmitgliedern vorstellen, was mich wirklich sehr freut!!! Das ist natürlich noch nicht die ersehnte Aufnahme des SFA in das Netzwerk der deutschen Kinematheken, aber doch ein wichtiger Anfang.

Natürlich ist es das medienpolitische Ziel meiner Arbeit, dem Saarland ein öffentlich-rechtliches Filmarchiv und medientechnisches Museum zu geben, aber dieses kulturpolitische Ziel sollte nicht verwechselt werden mit der bisherigen Realität, und dabei ist der korrekte Archivname wichtig. Das Archiv, das ich vertrete, für das ich forsche und publiziere, heißt leider noch nicht "Filmarchiv für das Saarland", sondern weiterhin Saarländisches Filmarchiv e. V. (SFA).

Der Bezug zu Honecker als VIP saarländischer Herkunft ist im Blog-Text nicht sinnvoll, denn Honecker verbindet rein gar nichts mit meiner kuratorischen Sorge um das regionale AV-Erbe, zumal er seit 1935 mit seiner Herkunftsregion nur noch selten zu tun hatte. Heutzutage ist der bekannteste Saarländer wohl eher Oskar Lafontaine, und er hat starken Bezug zur regionalen Filmkultur, denn als Saarbrücker OB zeichnete er kulturpolitisch verantwortlich für die hiesige Max Ophüls-Retrospektive (1980), und unterstützte auch als Ministerpräsident immer das aus der Retrospektive entstandene Filmfestival Max Ophüls-Preis, das 2009 sein 30. Jubiläum feiern konnte.

Es wurden im Blog versehentlich "1.000 Filmrollen" angegeben, tatsächlich hat das SFA aber schon ca. 1.000 Filme auf ca. 1.200-1.300 Film- und Tonspulen, in den Filmformaten 8mm bis 35mm sowie in mehreren analogen und digitalen Videoformaten. Die ältesten Filme der Sammlung stammen aus 1911 und sind internationale Raritäten. Die überwiegende Mehrheit der Filme ist professionelles Dokumentarmaterial, der geringere Teil Amateurfilme, ein sehr kleiner Teil Spielfilme. Hinzu kommen Fotos, Poster, Autogrammkarten, Kinowerbefiguren, Filmrequisiten, sowie Schriftgut (Programmzettel, TV-Produktionsverträge, Kinoakten, Filmzeitschriften...), außerdem 250 Kameras und Projektoren, 175 Tonträger, einige Partituren für Stummfilme, etc. Zusätzlich gibt es eine filmhistorische Handbibliothek von rund 750 Bänden.

Das SFA wurde bereits 1998 gegründet; es ist insofern kein "Neuarchiv". Weil es aber seit seiner Gründung keinerlei Budget hat, hat die SFA-Sammlung noch immer kein Zuhause, sondern wird provisiorisch auf ca. 100qm unklimatisierter Fläche in mehreren Magazinräumen des Landesarchivs des Saarlandes (LAS) gelagert. Dankenswert und kollegial anerkennenswert ist, daß die Direktoren des LAS seit 1999, Dr. Wolfgang Laufer bzw. inzwischen Dr. Ludwig Linsmayer, dies jeweils kostenneutral gestattet haben, weil beide die landeshistorische Bedeutung einer solchen Initiative kennen. Wegen des extrem knappen Lagerplatzes im LAS lagert nur der kleinste Teil der SFA-Sammlung in Regalen. Der größte Teil der Bestände muß verpackt bleiben, in rund 250 gestapelten Umzugskisten, Stapelhöhe bis 3,50m, Stapeltiefe bis 4m. Doch selbst dieses Provisorium wird künftig nicht mehr möglich sein, da die Platzreserven des LAS inzwischen völlig erschöpft sind. Die SFA-Bestände müßten eigentlich längst weg, man will uns aber auch nicht einfach hinauswerfen. Das Nitro-Filmmaterial des SFA lagert nicht im LAS, sondern an einem anderen Ort. Trotzdem ist die Situation im LAS sicherheitstechnisch inzwischen grenzwertig: Die SFA-Bestände lagern teilweise dicht an der Heizungsanlage, teilweise in einem Notausgang. Das sollte uns alle an die Archiv-Katastrophe von Köln gemahnen, die mit rechtzeitigem Geldeinsatz vermeidbar gewesen wäre.

- Der Double-Bind, an dem das SFA leidet, ist ein ausgewachsener Teufelskreis mit mehreren Ebenen:
Politisch verantwortlich für regionale Archivfragen, Forschung und historisches Kulturgut sind neben dem Landtag und der Regierung natürlich das Kultusministerium, teilweise auch das Umweltministerium. SFA-Anträge an alle Landtagsabgeordneten, an die Regierung sowie an das Kultusministerium wurden gestellt. Ich konnte Anfang 2008 ein Gespräch mit Europaminister und Staatskanzleichef Karl Rauber führen, anschließend auch Gespräche mit den drei Landtagsfraktionen (CDU, SPD, FDP). Die Bitte um ein zweites Gespräch mit Herrn Rauber hat er selbst im September 2008 gewährt, doch wurde von seinem Sekretariat bis heute kein Termin anberaumt; auch wird wohl vor Ablauf der Legislaturperiode keine schriftliche Nachricht mehr kommen. Der Landtag half dem SFA ebenfalls nicht. Im Sommer 2008 erhielt das SFA überdies zum wiederholten Mal negative Signale vom Kultusminsterium (Ministerin: Annegret Kramp-Karrenbauer). Diesmal grenzte die Absage an Zynismus: Man könne dem SFA leider weiterhin weder Räume noch institutionelle Förderung gewähren; falls ich aber Lagerräume aus Landesbesitz mieten wolle, könne ich das gerne tun; zu Preisen von 6,-Euro/qm aufwärts könne man mir mehrere Objekte anbieten. Ähnlich hilfreich verhielt sich im gleichen Zeitraum die dortige für Filmkultur verantwortliche Mitarbeiterin Frau Ruffing, die auf mein Angebot an das KuMi verzichtete, sich im persönlichen Gespräch erstmals über das SFA zu informieren; Juristin Ruffing muss eine autodidaktische Filmexpertin von besonders hoher Qualität sein, denn diese Wunschkandidatin der Ministerin wurde im Sommer 2008 weg von der hausinternen KuMi-Abteilung für Controlling direkt auf ihre neue Stelle befördert, wobei sie mindestens einem/r filmfachkundigen saarländischen BewerberIn vorgezogen wurde.

Weil das SFA keinen Status als öffentlich-rechtliche Landesinstitution hat, wird uns nicht nur im eigenen Bundesland ein Budget, fachgerechte Unterbringung und Amtshilfe der staatlichen Ebenen verwehrt. Auf Bundes- und EU-Ebene sind wir nicht einmal antragsfähig, wie es scheint: Das BKM jedenfalls hat nie reagiert auf ein von mir überreichtes Schreiben an die damalige Kulturstaatsministerin Christina Weiß (gebürtige Saarländerin!), die sich vor Jahren zu einem kurzen Tagesbesuch in Saarbrücken aufhielt. EU-Anträge kann das SFA ebenfalls noch bis auf Weiteres vergessen: Für EU-Kooperationen im Kulturbereich braucht man nämlich heutzutage ein gutes Dutzend Partnerorganisationen aus allen möglichen EU-Ländern. Es fehlt uns also der Zugang zu einigen nationalen und wie zu allen internationalen Kommunikations- und Kooperationsnetzwerken für Filmarchive. Beispielsweise kann das SFA nicht einmal beobachtendes Mitglied in der FIAF werden, weil selbst dieser mindere Status für uns viel unerschwinglich ist. Bei der FIAF gibt es schon Probleme mit den Formalien, denn das FIAF-Aufnahmeformular kennt gar keine Archive ohne Budget und ohne bezahltes Personal. Weil das SFA kein FIAF-Mitglied ist, verweigerte uns in 2000 der lokale Organisator des jährlichen FIAF-Kongresses in London, Clyde Jeavons, eine Ermäßigung bzw. den Erlaß der 200,- Pfund Anmeldegebühr zur jährlichen FIAF-Konferenz. Damals waren das rund 600 DM, hinzu kamen noch Anreise und Hotel. Seither tagte die FIAF auf ganz anderen Kontinenten. Ob das SFA in 2010 an der FIAFKonferenz in Oslo teilnehmen können wird, steht noch in den Sternen.

Weil uns Status, Geld und Mitgliedschaft in Netzwerken bislang fehlen, erfahren wir zu spät von Kooperationen, die in Netzwerken besprochen werden, also kann das SFA sich auch nicht daran beteiligen, selbst wenn wir so spannende Bilder zu bieten haben wie einen saarländischen Urlaubsfilm aus dem Spanien von ca. 1939-1940, das sichtlich vom Bürgerkrieg gezeichnet war, oder solche Raritäten wie die Kopie eines schablonenkolorierten Pathé-Films von 1911, von dem es weltweit nur drei fragmentarische Kopien gibt, davon eine im SFA. Ohne Kooperationsmöglichkeiten kann ich keine Projekt-Gelder für die Sicherung der wertvollsten Teile unserer Bestände beantragen, und weil ich immer nur sehr wenig aus den Beständen zeigen kann, kann ich keine effektive Lobbyarbeit machen, also keine Medien und keine Öffentlichkeit für unsere Arbeit interessieren. Weil ich keine Öffentlichkeit herstellen kann, ändert sich wiederum politisch nichts - nicht einmal Geld für das Design unsererer Webdomain ist vorhanden. Da das SFA ohne Budget auskommen muss, habe ich persönlich außerdem weitere Nachteile im Vergleich mit anderen LeiterInnen "offizieller" Filmarchive: Sie erhalten Gehalt, bekommen Dienstreisen bezahlt und haben einen Mitarbeiterstab. Oft werden sie von Veranstaltern von Filmkonferenzen und -festivals eingeladen, damit sie überhaupt hinkommen, während ich meistens vergeblich um Ermäßigung oder Erlaß der Akkreditierungen bitte, von Hilfe zu den Reisekosten ganz zu schweigen.

- Trotz alledem ist das SFA nicht aufzuhalten, denn ich hebe immer mehr filmhistorische Schätze:
Zur frühen Mediengeschichte Saarbrückens werde ich erstmals Ende September 2009 öffentlich in der Landeshauptstadt vortragen können; bereits seit 2000 arbeite ich für das SFA an einem Buch über das Frühe Kino im Saarland, dazu erforschte ich z. B. die komplette Produktionsgeschichte des ältesten erhaltenen regionalen Films, der Aufnahmen aus Saarbrücken zeigt. Ich konnte ihn eindeutig als Werk eines regionalen Wanderkinobesitzers identifizieren, und exakt neu datieren auf Ende Oktober 1904. Diesen Film, der beim diesjährigen Festival Il Cinema Ritrovato (Bologna) gezeigt wurde, halten namhafte Kollegen aus großen Archiven und von wichtigen Lehrstühlen in London, Bologna, Trier und Luxemburg noch immer irrtümlich für ein Werk einer Freiburger Kinokette aus 1909, denn so verkündete es der dortige Katalog; hätte man die europaweit verschickte SFA-Pressemitteilung vom 21. Dezember 12007 gelesen, wäre die peinliche Falschmeldung vermeidbar gewesen.

Vor wenigen Wochen ist es mir im Rahmen einer SFA-Auftragsarbeit für eine regionalhistorische Wanderausstellung der Stiftung Demokratie Saarland gelungen, zwei sehr wertvolle Minuten Filmmaterial wieder zu finden, die am 26. August 1934 in Sulzbach/Saar gedreht wurden. Es sind Wochenschauberichte, die man 75 Jahre lang verschollen glaubte, mit Aufnahmen von der größten antifaschistischen Zusammenkunft auf deutschem Boden, die im damaligen Saargebiet unter dem Motto "Nie zu Hitler" stattfand; dabei trafen 75.000 Menschen zum "Schwur von Sulzbach" zusammen. Diese beiden kleinen Juwelen von Wochenschaufilmen werden am 26. August 2009, exakt 75 Jahre nach dem Ereignis, erstmals wieder öffentlich in Deutschland zu sehen sein, anläßlich der Eröffnung der Ausstellung im Salzbrunnenhaus in Sulzbach, die am Jahrestag der Versammlung eröffnet wird.

Mit freundlichen Grüßen,
Gerhild Krebs

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SAARLAENDISCHES FILMARCHIV e. V. (SFA)
Geschaeftsstelle, Vors. Gerhild Krebs M.A., Assess'dL
Johannisstr. 25, 66111 Saarbruecken
tel +49 - (0) 681 - 580 61 91
tel mobil +49 - (0) 170 - 95 28 786
e-mail gerhild@handshake.de
netz: www.filmarchiv-saarland.de [Stand 07/2009: SFA-Domain ist noch nicht aktiv]

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