Die neue Ausgabe 7.09 des schweizer "Filmbulletin" berichtet in der Rubrik "kurz belichtet" auf Seite 3 vom Einbau einer "state-of-the-art" Digital Cinema Anlage beim "Filmpodium Zürich". Interessant der angegebene und berichtete Grund. Zitat: "Dieser Schritt in die digitale Zukunft wurde vor dem Hintergrund gemacht, dass es immer schwieriger wird, 35-mm-Kopien von Filmklassikern in wenn möglich bester Vorführqualität von Verleihern und Filmarchiven zu erhalten. Sei es, dass die Kopien durch Abnutzung und chemische Zersetzung gefährdet sind und deshalb zur Vorführung nur beschränkt oder gar nicht freigegeben werden, sei es dass restaurierte neue Kopien jenseits des Massenmarkts so kostspielig sind, dass sie sich Institutionen wie das Filmpodium nicht mehr leisten können." -- Zitat-Ende -- Dieser Umstand, dass Filmkopien als Gebrauchsgegenstände, dem Verschleiß unterworfen, mit dem Wandel zu einer digitalen Kultur immer mehr kulturgeschichtlichen Original-Artefakt-Charakter erhalten und damit restriktiv nurmehr 'hinter musealen Vitrinen' zu sehen sein werden, war mit dem Aufkommen der DVD vor rund 12 Jahren und der zunehmenden Qualitätsverbesserung von Videoprojektoren zur elektronischen Projektion mehr als absehbar und ich habe in den von mir herausgegebenen Buchtiteln seit diesem Zeitpunkt immer wieder darauf hingewiesen.
Meine Frage wäre nun, warum man als an der Kinogeschichte Interessierter ausgerechnet in Filmkunsttheater noch gehen soll, wenn man sich filmhistorische Schätze qualitativ besser zu Hause ansehen kann (ohne Störung durch die Anwesenheit anderer Zuschauer), weil man inzwischen auf das gleiche Repertoire auf Disk oder online Zugriff hat -- und sich bei den kleinen Zuschauerscharen im Kino mit historischem Programm auch ein kollektiver "Publikumsmassen-Effekt" nicht mehr einstellen will, gerade weil eine digitale Präsentation eben nichts Außergewöhnliches und Besonderes mehr ist.
Meiner Ansicht nach leisten sich die Kinematheks-Kinos und historischen Filmkunst-Theater mit der Umstellung auf Digitale Projektion keinen Gefallen, sie unterminieren ihre eigene Existenzberechtigung. Meine nächste Frage wäre: Wie breit kann man "historische Aufführungspraxis" in die Fläche und die Tiefe bringen, mit der neuen Arbeitshypothese, dass ein freier Zugang zu Filmkopien als Gebrauchsgegenstand und Mittel zum Zweck einer Kinoaufführung absehbar nicht mehr gewährleistet sein wird -- und die Archivbestände von Kinematheken zu in der Regel 'geschlossenen Anstalten' werden dürften.
Die Lebendigkeit des filmstreifenbasierten Kinos dürfte zur Grabesstille vergleichbar bei den ehrwürdigen Bildtafel-Ausstellungen in Staatsmuseen werden: rar, teuer und extrem aufwendig.
Die andere Variante für eine Zukunft des Kinos könnte natürlich der "Seminarraum" sein, wenn digitale Projektion als Zugangs- und Eintrittsmedium zum historischen Verständnis der Sache werden kann. Dabei erinnere ich mich gerne an Robert Kudielkas manchmal vier Stunden lange Vorlesungen in der Berliner 'Hochschule der Künste' zur Kunstgeschichte, damals in den 1980er Jahren, etwa bei "Einbildungskraft – Diagnose eines Defizits", in denen er immer darauf hinwies, dass die Dias, die er uns als Reproduktionen begleitend zeigte, nie die Sache selbst seien. Er forderte uns immer dazu auf, sich die Tafelbilder im Original vor Ort anzuschauen. Im Theorieunterricht an der Lette-Schule hatte ich zuvor vom Unterschied zwischen Körperfarben und Lichtfarben auch schon gehört.
Ich befürchte, dass die Glitzerbilder bei digitaler Projektion etwa von "Criterion" Blu-Ray-Titeln nicht mehr als Repräsentation und Verweis auf etwas Originales, sondern als "bessere Sache an sich" angesehen werden. "Noch nie sahen Filmklassiker so gut aus, wie jetzt" - wenn in hoher Qualität nahe am Kameraoriginal abgetastet und verlustfrei verbreitet wird.
Hier liegt also ein grundlegendes Missverständnis vor, bei dem es nicht darum gehen soll, in ein "Lob des qualitativen Mangels" einzustimmen, weil "Film war eben immer ein perfektes Medium" (Detlev Mähl, siehe unten). Es liegt an uns, dies auch in der nahen Zukunft vermitteln zu können. Eine schwierige Aufgabe mit vielen Fallstricken des Offensichtlichen.
ATRIUM
Montag, 16. November 2009
Digitale Präsentation für filmhistorische Kino-Programme
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