Mittwoch, 18. November 2009

Nur das Digitale und Onlinene ist das Wirkliche
am Beispiel des Todes eines Erfinders von Analogtechnik

Es ist mir vom 09.11. bis heute nicht gelungen, die Information über den Tod von Carsten Diercks († 02.11.2009) bei der deutschen Wipidedia einzutragen. Mein Eintrag des Sterbedatums wurde dort zwei Mal mit dem Hinweis, dass es keine Referenz im Web gäbe, wieder gelöscht. Eine gedruckte Todesanzeige in einer großen deutschen Tageszeitung ohne Online-Repräsentanz ist heutzutage eben nicht mehr ein ausreichender Grund, dass ein Mensch gestorben sein soll. Ich habe es heute nochmals ein drittes Mal probiert, den Biographie-Eintrag von Carsten Diercks bei de.wikipedia.org zu aktualisieren, sozusagen in Selbstreferenz auf die eigene Meldung.

Der ganze Vorgang erinnert mich stark an die Prophezeiung von Rick Prelinger vom Anfang der Dekade, dass alles, was künftig nicht digital und online sei, gar nicht mehr in der Wirklichkeit vorkomme und als solches überhaupt wahrgenommen, beachtet werden kann. Prelinger war dafür, eben alles online zu stellen, vor allem seine Filmsammlung an ephemeren Filmtiteln.

Das ist ein bedenklicher Vorgang.

Zum einen beispielsweise beim Kulturdruck, mittels Google Books die gedruckte Kultur der Buchwelt in die digital-onlinene Sphäre zu konvertieren, bei dem jetzt (nach dem aktuellen rechtlichen "Vergleich") der deutsche Kulturraum anscheinend nicht mehr grundsätzlich repräsentiert werden wird. Sozusagen eine weitere Marginalisierung deutscher Gedanken in der vierten industriellen Revolution.

Zum anderen zeigt eine solche Marginalie den zunehmenden Repressionsdruck durch die Technik, bei der das Kreativ-Anarchische und "Augmentative" des Anfangs sich wie in einer Drehtür zunehmend in ein repressives Herrschaftsinstrument verwandelt. Die Zeit scheint nicht mehr weit für eine Überlegung, die ganzen digitalen "Gadgets" aus Freiheitsgründen lieber dem Elektroschrott zuzuführen, statt sich ihrer noch aktiv zu bedienen. Die Wandlungen der Firma Apple in den letzten Jahren sprechen dafür Bände.

Geradezu ein Treppenwitz ist in diesem Zusammenhang die Entscheidung der freiheitsliebenden Niederländer, sich im Zuge der Einführung einer zusätzlichen, verbrauchsorientierten Energiesteuer sich unbedingt einer Technologie der permanenten Verortung der gesamten mobilen Bevölkerung bedienen zu wollen. Hieran zeigt sich, dass eben doch das Reale das Wirkliche ist und die eingesetzte Kulturtechnik nur das Mittel zum Zweck.

Die nationalstaatliche Ordnung der Gesellschaften ist in keinster Weise auf das Hereinbrechen dieser technischen Kulturrevolution vorbereitet gewesen und ist es weiterhin nicht. In gewisser Weise schließen sich staatliche Großstrukturen und die feinstoffliche Welt des Digitalen einander aus. Anders herum formuliert: Wir haben das Wesentliche dieser Neu-Technik noch nicht kapiert und tasten uns in den alten Strukturen regressiv (also mehr zurück als nach Vorne) vor. Was wir in der nächsten Dekade erleben dürften, wird ein Ausdeklinieren eben (nicht nur) dieses Konfliktes sein, dass eine digitale Welt im Korsett des Nationalstaats nicht progressiv sondern nur regressiv funktioniert. Wenn man aber den Totalitätscharakter steigert, implodiert dieser am expansivsten Punkt. Das dürften wir doch im 20. Jahrhundert vom 20. Jahrhundert ansatzweise gelernt haben.

Ob das Digitale nun also der Treibsand oder der Transmissionsriemen gesellschaftlicher Veränderungen hin zu einem höheren, mehr entwickelten Status sein wird, haben wir in unserer "Pionierzeit" noch nicht entscheiden können. Zu sehr waren wir von kaufbaren "Gadgets" und dem durch sie entfesselten Marketing-Budenzauber entzückt, wenn nicht gar entrückt.

Demgegenüber haben die analogen Erfinder und Forscher, wie eben Carsten Diercks, vor rund 50 Jahren unter dem damals erlittenen Materialwiderstand doch recht genau gewusst, für was und wen sie welche Dinge mit welchem Zweck und mit welchen Folgen neu entstehen lassen.

ATRIUM

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