Joachim Polzer: Wir sind nun bei unserer Rückschau auf Deine Zeit im Stuttgarter "Atrium" in den 1980er-Jahren angekommen. Mit den "Blues Brothers" setzte nach den wechselvollen Programmfarben der 1970er-Jahre ein Stimmungsumschwung ein. Die 70-mm-Euphorie mit ihren überlangen Epen, die nach dem "Atrium"-Umbau ja noch so für vier, fünf Jahre weiter lebte, wurde obsolet.
Detlev Mähl: "Rambo" war im "Atrium" ein Riesengeschäft.
Joachim Polzer: Dies war für das "Premium-Image", das das "Atrium" im Stuttgart hatte, schon eine ziemliche Beule. Es brachte ein komplett anderes Publikum ins Haus.
Detlev Mähl: "Rambo" kam damals vom "Scotia"-Verleih und die waren ein eher kleinerer Verleih, mit dem die Colms zusammen arbeiteten. Und wer konnte damals beim ersten "Dr. No"-Versuch, Anfang der 1960er-Jahre, den späteren Erfolg von "James Bond" schon abschätzen, in einer Zeit, wo die Filmreihe um "Lemmy Caution" immer noch der große Hit war. Hinterher ist man immer klüger, gerade wenn man Filme aus gedruckten Verleihprogrammen buchte.
Joachim Polzer: Das Geschäft in den 1980er-Jahren mit den Möglichkeiten der Schachtelkinos wurde schnelllebiger. Die Zeiten, in denen "Einer flog über das Kuckucksnest" über 136 Wochen am Stück vom großen zum kleinsten Saal lief, waren bald vorbei.
Detlev Mähl: Damals kam ja auch die Technik des "Interlock-Betriebs" auf, wenn man eine Filmkopie bei laufendem Betrieb auf mehrere Säle verteilte und über mehrere Projektoren verteilt mit kurzem Zeitversatz auf verschiedenen Taschentuch-Leinwänden zeigen ließ.
Joachim Polzer: Deine Zeit und Dein Engagement bei "Colms" ging in den 1980er-Jahren schließlich zu Ende. Das Ende und die Trennung vom "Atrium" war wohl nicht so harmonisch.
Detlev Mähl: Nein, sicher nicht.
Joachim Polzer: Ohne ins Detail gehen zu wollen, kann man wohl sagen, dass man Dir für Deine Verdienste zum technischen Erhalt von Kino-Qualitätsstandards zum Schluss keinen betrieblichen Verdienstorden mehr verleihen wollte.
Detlev Mähl: Nein, so war es nicht. Ich versuchte mich nach meiner Zeit bei Colms mit einer Selbständigkeit, zusammen mit einer Partnerin. Wir hatten in der Augsburger Gegend auf dem Land zusammen eine Disco aufgemacht. Die lief auch recht gut. Meine Partnerin kam aus der Gaststätten- bzw. Hotelbranche. Ich konnte mit Menschen gut umgehen und sie war im Geschäft der Experte. Wir haben uns da sehr gut ergänzt. Mit liegt es einfach nicht, etwa Lieferanten knallhart zu behandeln; sie war da ziemlich geradeaus. Sie ist dann allerdings tödlich verunglückt, warum genau, das wusste man allerdings nicht. Wahrscheinlich war sie beim Fahren eingeschlafen, ist von der Fahrbahn abgekommen, hat Bäume gestreift und das Auto ist dann abgebrannt. Ich mußte anschließend die Überreste identifizieren.
Joachim Polzer: Und Du hattest plötzlich eine Jugend-Disco im Augsburger Land allein an der Backe...
Detlev Mähl: Ich habe mich in dieser Situation eigentlich nicht mehr wohlgefühlt, mir ist das damals nach dem Tod meiner Partnerin über den Kopf gewachsen und die Unternehmerlust war weg. Die Disco ist dann verkauft worden; ich war Erbe. Allerdings habe ich einen großen Teil meiner Einnahmen bei einer Bürgschaft auch wieder verloren, als ich einem alten Schulfreund von mir, der mir mal früher beim Baden das Leben gerettet hatte, gegenüber seiner Bank bürgte. Eine Anlageform, die sehr sicher schien, war faul. So war es dann bei mir wie im Spruch: wie gewonnen, so zerronnen.
Joachim Polzer: Ein wechselvolles Leben...
Detlev Mähl: Ich mußte also wieder was anpacken und etwas Neues machen. Ich hatte immer noch im Sinn, einmal wieder so etwas wie das "Atrium" zu machen. Damals stand in Ravensburg das "Frauentor"-Kino von Burth zur Verpachtung an, auch ein ehemaliges 70-mm-Haus. Allerdings war die Pacht zu teuer; mein Finanzberater riet mir zudem zu Rücklagen für's Alter und nicht zu neuen Experimenten. So war meine Idee eben nicht mehr realisierbar, zumal die Zeit für einen 70mm-Revival in den 1980er- und 1990er-Jahren einfach auch vorbei schien. Nach allem musste ich sehen, wie es mit mir weiter geht. Das "Kommunale Kino" in Stuttgart, damals im Kepplersaal des Planetariums untergebracht, suchte einen erfahrenen Vorführer. Im Planetarium waren die KoKi-Leute irgendwie nie willkommen gewesen, wurden eher als Fremdkörper angesehen. Die Kino-Technik beschränkte sich dort auf das Notwendigste. Es war letztlich ein leichter Job, noch mit Hand-Überblendung statt Teller. Man wurde nach BAT und damit nach Berufsjahren bezahlt, man hat also im Verhältnis nicht schlecht verdient. Nach dem "Kommunalen Kino" kam für mich dann das "Kino-Mobil"-Projekt.
Joachim Polzer: Man wollte den anspruchsvollen Film auf's Land in Orte ohne Kino bringen.
Detlev Mähl: Das ist auch teilweise gelungen. Ich hatte einen Ford Transit als Fahrzeug dafür und zwei transportable 35-mm-Projektoren von Veronese mit 1.800-m-Rollen. Man konnte also Kino in alten Hallen machen, wo es noch eine Leinwand gab. Bedingung war: Es durfte im Umkreis kein Kino mehr spielen. Damit wurde der anspruchsvolle Film in den ländlichen Raum gebracht. Das war insgesamt auch eine sehr interessante Erfahrung, aber irgendwann war auch die Zeit dafür vorbei. Dieses "Kino Mobil" war ein Projekt des Landes mit Zuschüssen, dessen Zukunft immer mehr unsicher wurde.
Joachim Polzer: Nach der Zeit mit "Kino Mobil" bist Du dann in den Ufa-Palast als Multiplex hinter dem Hauptbahnhof gewechselt. Wie kam es dazu?
Detlev Mähl: Heinz Riech und sein Sohn, den man mit seiner Ufa-Kinogruppe mit vereinten Kräften immer aus Stuttgart heraushalten wollte, hatte es schließlich über eine Partnerschaft mit der Stuttgarter Theile-Gruppe geschafft, doch noch in Stuttgart Fuß zu fassen. Theile wurde Besitzer der Immobilie und die Ufa war der Mieter. Und an einem anderen Standort außerhalb von Stuttgart war es umgekehrt. Das war der Deal.
Joachim Polzer: Der "Ufa-Palast" als Multiplex in der Stuttgarter Innenstadt hatte seit Oktober 1999 einen eher mühsamen Start.
Detlev Mähl: Auf technischer Seite wurden die kinotechnischen Installationen dort von fünf oder sechs verschiedenen Firmen durchgeführt. Es erschien mir bei einem so komplexen Kino-Gebäude kinotechnisch alles sehr improvisiert zu sein und die dortigen Vorführer waren auch eher nur Filmeinleger. Man suchte dort also nach einer Fachperson, die die Feinjustierung der Kino-Technik hinbekommen könnte. Ich habe mich bei der Firmen-Hierarchie allerdings ganz herausgehalten; es gab dort ja bereits "Teamleiter" und "Technische Direktoren" und so fungierte ich eher als eine Art "graue Eminenz" im Hintergrund.
Joachim Polzer: Mitte der 1990er-Jahre schwappte nach zwei Jahrzehnten mit Schachtelkinos in Filmcentern als Hauptbetriebsform des Kinos die Multiplex-Welle schließlich auch zu uns nach Deutschland. Es kam mit Börsengeld zu einer mehr oder weniger flächendeckenden Welle von Kinoneubauten, wahrscheinlich auch der letzten. Wie schätzt Du denn mit Deiner gesamten Kino-Erfahrung diesen damaligen Wandel aus heutiger Sicht ein?
Detlev Mähl: Das Konzept, wieder an die Darbietungsqualität von Bild und Ton im Kino zu denken und in archtiektonischen Zweckbauten sich um die bestmögliche Erfahrung für den Kinobesucher zu kümmern, ist an sich nicht schlecht. Dies wurde über lange Zeit vernachlässigt. Ob es allerdings ein Kinovergnügen ist, beim Nebensitzer Popcorn-Schmatzen, stinkende Taco-Soße oder lautes Strohhalm-Schlürfen aus Cola-Trommeln wahrnehmen zu müssen, das ist eine andere Sache. Wenn auch die Kino-Töne vielleicht so überlaut sind, um dies übertönen zu können: Popcorn-Schmatzen, Taco-Soßen-Gestank und Strohhalm-Schlürfen ist im Kino einfach eklig und es trägt nicht zum Kinoerlebnis bei. Das Kinoerlebnis wird durch dieses Konsumverhalten meiner Ansicht nach deutlich und rapide geschmälert, weil es den dunklen und damit magischen Raum des Kinos mit trivialen Küchensinnen des Alltags abtötet. Aber die neue Kinogeneration kennt es ja nicht anders, also wird sie es auch nicht weiter stören. Und wenn man es nicht mehr anders kennt, dann findet man es eben toll, so wie es ist.
Joachim Polzer: Jetzt zum Ende der Nuller-Jahre, scheint sich ja ein deutlicher Wechsel erneut anzuküdigen. Die Riesenexpansion des Kinobereichs mit seinem Overscreening durch Multiplexe bekommt der Branche insgesamt nicht; die Einzelobjekte sind zu teuer, um sie einfach fallen lassen zu können. Und die jungen Leute bleiben zusehends weg, weil sie sich vielleicht lieber auf Soical Websites aufhalten oder gleich interaktive Online-Games spielen. So entdeckt man plötzlich in Multiplexen die Nicht-TacoPopcorn-liebenden älteren Herrschaften als Zielgruppe, die man mit überlauten Lautstärken zunächst aus diesen Kinos vertrieben hat und nun die vorhandenen Kapazitäten wieder neu bevölkern sollen. Aber diese zaghaften Versuche scheinen nicht zu klappen.
Detlev Mähl: Die Älteren haben eine ganz andere Kino-Erinnerung. Damit fängt es schon an. Die haben nämlich aus ihrer eigenen Erfahrung noch den historischen Vergleich. Wenn nach Dolby-Norm die Tonanlage eingestellt wurde, sind auch laute Passagen in lauten Filmen nicht zu laut. Aber von Vorführern eigenmächtig überdrehte Saalregler -- nach der Devise: es soll ja rumpsen -- haben die älteren Kinofans einfach vertrieben. Und am Wichtigsten: Es fehlen die Kinostoffe, um die ältere Zielgruppe wieder verlässlich und nachhaltig ins Kino zu bringen. Dann wird im Kino von den Jüngeren vielleicht auch noch an den unpassendsten Stellen geredet, weil das Wegzappen vor "blöden Situationen, die anstrengen" bereits eingeübt ist. Dreht man sich dann um und protestiert, heißt es: "Opa halt's Maul, sonst bekommst Du ein paar auf die Schnauze!". Da hört das Kinovergnügen dann ganz schnell auf. Früher ist man still gesessen, hatte Disziplin und hat sich ruhig verhalten; man hat den Film auf sich zukommen lassen, hat ihn erlebt. Und genau dieses Erlebnis wird im Kino heute eben sehr nachhaltig durch verschiedene Faktoren gestört. Die Qualität der Bilder und Töne ist zwar heute wieder in der Regel ganz gut, aber das Kinoerlebnis ist nicht mehr da. Wenn man so will läuft die Kinomaschine sich heute tot. Denn zum Kinoerlebnis gehört eben auch eine gewisse "Heimeligkeit": die Gemeinschaftsstimmung fehlt. Ist diese Erfahrung im Kino beim Publikum über einen längeren Zeitraum nicht mehr vorhanden, verliert sich das Bedürfnis danach und kann als Erfahrung und Erwartungshaltung auch nicht mehr an die nächste Generation weitergegeben werden. Die Identifikation des Publikums mit den Leinwandhelden ist heute zum Problem geworden. Früher hat man im Genrekino mitgelitten, mitgelacht und mitgefiebert. Die ganze emotionale Skala wurde mit trickreicher Dramaturgie abgerufen. Heute sind die Kino-Figuren nicht mehr lebensecht, sondern eher lachhaft überzeichnet.
Joachim Polzer: Das ist ein gesellschaftliches und kulturelles Problem, kein technisches und im ersten Ansatz auch kein ökonomisches. Das Verhältnis von Realismus und Kino-Abbildung hat sich nachhaltig verschoben. Das Kino als sozialer Ort und Sammlungsplatz der Generationen ist uns dabei abhanden bekommen. Gleichzeitig liegt die Werkgeschichte des Kinos auf Heimmedien zum individuellen Abruf bereit. Wo liegt möglicherweise die Zukunft des Kinos in einer Zeit, die kein homogenes Publikum mehr kennt?
Detlev Mähl: Die Zeit des filmstreifenbasierten Kinos ist endgültig vorbei. Die jungen Leute wachsen jetzt auf mit digitalem Kino, mit tollen großen Bildern aber immer noch eingesperrt in einen dunklen, schwarzen Raum. Die Töne sind überwältigend, aber nicht eigentlich intim. Ich denke, dass die Technik so voranschreitet, dass man Kino bald nicht mehr unbedingt in dunkler Umgebung veranstalten muss und dass sich auch in absehbarer Zeit holografische Bewegtbilddarstellungen ohne Brillenaufsatz realisieren lassen werden. Kino war und ist immer Traumfabrik, aber diese Träume und ihre Essenz verändern sich mit der Zeit. Heute scheint der zeitgenössische Traum eher im interaktiv-virtuellen Austausch oder aktivem Dialog zu liegen, also dort, wo man chatten und sich aktiv einbringen kann, dass man also selbst der aktive Held sein kann. Das Brabbeln und das nicht mehr Stillsitzenkönnen im Kino ist dafür schon ein Symptom.
Joachim Polzer: Also nicht mehr die Identifikation mit irgendwelchem zweidimensionalen Leinwandgeschehen ist das Zentrum der kinematischen Erfahrung, sondern eher der autoaktive Ego-Shooter im Online-Duell.
Detlev Mähl: Der Schritt zum aktiven Ausleben von sexuellen Gefühlen in virtuellen Online-Situationen ist dann nicht mehr weit. Du bist der Held, weil Du aktiv sein kannst. Im Kino musstest Du es träumen. Du kannst nicht Deinen Nebensitzer packen und verprügeln, sondern man träumte sich im Kino in eine andere Welt. Und weil man es träumt, wurde es für einen persönlich wirklich. Jeder träumt für sich und jeder träumt gemeinsam mit anderen etwas anderes. Aus dem Traum wird in der Online-Welt die Phantasie, etwas Verwandtes aber trotzdem grundlegend Anderes.
Joachim Polzer: Damit hätten die Avantgarde-Vorstellungen vom Cyperspace in den 1990er-Jahren tatsächlich das Kino besiegt.
Detlev Mähl: Das Kino ist eben ein Geschäft, das Profite erwirtschaften muss. Wenn sich das nicht mehr verwirklichen lässt, wird es kein Kino mehr geben.
Joachim Polzer: Was wird bleiben?
Detlev Mähl: Man muss zu allem eine Beziehung entwickeln. Wenn man etwas nicht mehr kennt und etwas Altes neu kennenlernen will, muss man diese Beziehung neu entwickeln. Ich denke, dass in diesem Sinne das neue Wiedersehen von älteren Filmen im Kino uns erhalten bleiben könnte. Was für mich heute so erstaunlich ist, dass wenn im Kino Kinderfilme laufen, die Kinder begeistert ins Kino gehen. Etwas Unbekanntes und noch Unbegriffenes passiert da Vorne. Wenn die Kinder dies lernen und erfassen können, wird sich daraus auch weiterhin etwas entwickeln können. Deswegen ist Kinderkino heute so wichtig.
Joachim Polzer: Die alten Filme werden heute auf Disk angeboten und von uns in den tollen privaten Heimkinos erlebt. Die alten Filme finden in der Regel kein öffentliches Publikum mehr. Das Repertoire aus 100 Jahren Kino rutscht aus der öffentlichen Sphäre hinaus und wird zur Privatveranstaltung. Es fehlt immer mehr das öffentliche Forum für alte Filme, auch um ihre Historizität in ihrer Aufführungspraxis kontextualisieren zu können.
Detlev Mähl: Ich fände es nicht schlecht, wenn es auch weiterhin Versuche gibt, die alten Filme öffentlich darzustellen. Nur sollte das ohne technische Überraschung passieren. Es sollte technisch perfekt sein. Denn der Film als Medium des Kinos war ja auch technisch perfekt. Das ist natürlich immer auch eine Frage der Filmkopien. Aber wenn man heute schon 70-mm-Retrospektiven veranstaltet, dann sollte man dem technischen Anspruch, den das Format als Herausforderung stellt, auch gerecht werden. Man sollte sich dann also schon wirklich überlegen, was man tut. Unruhiger Bildstand, Unschärfen, klirrender Ton, falsches Format und matschiges Bild wegen Projektionsfenster-Reflexionen haben bei historischer Aufführungspraxis nichts zu suchen. Überhaupt sind Kenntnisse für solche Unterfangen das Allerwichtigste und Generalproben bzw. Probedurchläufe haben noch nie geschadet.
Joachim Polzer: Um diese Kenntnisse weitergeben zu können, müsste die Vorstellung von historischem Filmgut im öffentlichen Raum ja selbst didaktisch sein. D.h., man müsste das Publikum in den Prozess der Vorbereitung bereits mitnehmen und einbinden.
Detlev Mähl: Vor allen Dingen müsste man dem Publikum vor der Vorstellung auch etwas sagen: was sich damalige, zeitgenössische Kinomacher etwa bei ihrer Sache gedacht haben und wie technisch aufwendig im Detail die angesetzte Vorstellung eben mit historischer oder neuer Technik gefahren wird. Man muss sein Publikum hinführen, so wie es damals ja auch Demonstationsfilme gab, die das damalige Publikum sensibilisieren sollten. Man muss den Leuten also vermitteln und ihnen dokumentieren, warum und weshalb. Auf der einen Seite muss man es "rüberbringen", die Leute also neugierig machen, so in Richtung: "Was iss'n das? - Wovon redet der?". Das kann man nicht mit jedem machen; es wird nur ein bestimmter und kleiner Kreis sein, der sich dafür interessiert. Wie damals eben auch. Für die Maschinerie des Kinos -- als für Dasjenige, das die Magie des Kinos erst möglich macht --, interessierte sich immer nur ein relativ kleiner Kreis. Dies spricht nun eher bei der Präsentation für eine kleinere und bescheidenere Raumsituation. Andererseits muß man einen Raum finden, der eine Wirkung hat, als wäre das Bild im Verhältnis riesengroß.
Joachim Polzer: Könnte man das Atrium im Maßstab 1 : 3 oder 1 : 5 dafür als Vorlage und Referenzkino nehmen?
Detlev Mähl: Könnte man schon. Das zentrale Problem aber bleibt: Den jungen Leuten heute bleibt das alles sehr fremd und für junge Leute muss es wirklich herausfordernd interessant und neu sein.
Joachim Polzer: Mit "Exodus" von Preminger wird einem das kaum mehr gelingen, bei diesen Einstellungslängen.
Detlev Mähl: Es ist ja noch extremer. Viele gehen heute in Videotheken und leihen sich mehrere DVDs eines Genres gleichzeitig aus, die dann hintereinander im Schnelldurchlauf angesehen werden. Dabei entstehen komplett neue Filme im Kopf. Das Konsumieren von Filmware wie aus der Chipstüte statt sich einem besonderen und einmaligen Erlebnis aussetzen wollen. Durch die Permanenz an Verfügbarkeit wird das Internet zur "Stromversorgung des Erlebens". Ins Kino musste man noch gehen und das Haus verlassen. Es war begrenzt, einmalig, teuer und etwas Besonderes. Es war eben eine andere Zeit. Und daran führt kein Weg vorbei.
Joachim Polzer: Es gilt also ein Forum zu finden, bei dem sich der Kreis der noch Wissenden treffen kann und ihn gleichzeitig so zu öffnen, so dass auch Angebote geschaffen werden, sich lernend diesem Kreis anschließen zu können. Also aus der Heimkino-Situation mit ihrer Hermetik -- etwa bei Sammlern auch oft zu finden -- herauszutreten und damit eine Öffentlichkeit herstellen zu können.
Detlev Mähl: Auf der anderen Seite geht es darum, auch wirklich alle Aspekte zu zeigen und zu vermitteln, was an Arbeitsprozessen damit zu tun hatte. Von der Aufnahmetechnik und den aufwendigen Tonmischungen, dem Schnitt bis zur Kopierwerksarbeit. Zu so einer Vermittlung gehört sicherlich auch der Aspekt der optimalen Kinogröße. Bei übergroßen Kinosälen bekam man durch den großen Abstand zwischen Projektor und Bildwand das Bild nur im Vorführraum scharf; wer direkt vor der Leinwand saß, saß in der Regel vor unscharfen Bildern, gerade bei CinemaScope-Filmen, und ist dann lieber in die hinteren Reihen geflüchtet, statt sich von der Bildgröße und der Bildgüte überwältigen lassen zu können. Auch aus diesem Grund war das "Atrium" ein Referenzkino der optimalen Kinoform.
Fortsetzung folgt.
Bildnachweis: Joachim Polzer
Samstag, 24. Oktober 2009
Stuttgarter Kinogeschichten. Leben live im Kino: Detlev Mähl im Gespräch mit Joachim Polzer, Teil 4
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