Samstag, 21. März 2009

Berlin und Frankfurt/M.: Semantische Unterschiede in der Repertoirepflege

Das am Mittwoch zuendegegangene 70mm-Filmfestival in Frankfurt am Main, teils auf Filmkopien der umfangreicheren Berlinale-Retrospektive aufbauend und somit das dortige "Bigger than Life"-Motto übernehmend, zeigte in seiner Beschränkung auf das Machbare klare Akzente und Qualifikationen, die m.E. im Berliner Museums-Establishment unter den Mühlsteinen der Hauptstadtarroganz nur belächelt würden:

Wurden in Berlin die Mitbringsel befreundeter Studiorestaurateure, d.h. leider zur Gänze unter den Kinematheks-Veranwortlichen ungesichtete (!) Neukopierungen, den Restaurations-Zauberern blindlinks wie warme Semmeln aus den Händen gerissen (und in vorauseilender Unterwürfigkeit noch als "wundervolle Restaurierungen" vor gespanntem Publikum angepriesen - was sich zu 80% als Makulatur erwies, denn der Großteil der gezeigten Versionen konnte ob seiner massiven Farbunstimmigkeiten, des mangelnden Szenenausgleiches oder dunkel absaufender Details bestenfalls als festivaluntaugliche "Nullkopierung" bewertet werden) - , so blieben die Frankfurter den Prinzipien der Wahrheitssuche treu.

Es geht mir, um einen Kardinalfehler des Berliner Event-Managements anzusprechen - in dieser Kritik asudrücklich um den Mitteleinsatz bei der Werbung und den Begriff des "Originals". Diese Nachfrage finden manche albern, sie ist aber nicht ohne Konsequenzen für die Ausformung unserer Geschichtsbilder und Wertvorstellungen.
Vorbildlich in der Abwägung des Echtheitsbegriffs erscheint mir die in Frankfurt auch anders klingende Ankündigung eines 70mm-Festivals, siehe S. 14, rechte Spalte: http://www.deutschesfilmmuseum.de/pre/res/pdf/kino/pro-03-2009.pdf
Daran gibt es nichts zu beanstanden - schön, wenn es nur überall so wäre, insbesondere in der Berliner Potsdamer-Platz-Kultur.

Als Echtheit bezeichnet man die Übereinstimmung einer Sache oder Aussage zwischen ihrem Anschein und den tatsächlichen Verhältnissen. Daraus bestimmt sich auch der Nutzen als geschichtlicher oder rechtlicher Beweis. In der Philosophie entspricht diesem Konzept die Wahrheit.
Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Echtheit

Unter den dennoch nicht restlos beglückenden Bedingungen der Bewegung der Studio-"Black Box Cinema"-Bewegung war es schließlich ein film- und kinokundiges Museumsteam in Frankfurt, das den "filmdiskreditierenden" Faux Pas der Berliner Retrospektiven-Verantwortlichen geschickt zu umschiffen verstand. Zum einen wurde schon im Vorfeld deklariert, daß es sich bei nicht wenigen Restaurierungen nicht um das Original handelt und somit "kleinere Abstriche" zu akzeptieren seien, zum anderen wurden gänzlich verunglückte Neukopierungen von Foto Kem wie "West Side Story" und "Lawrence of Arabia" (also die Flaggschiff-Titel der Hauptstadt-Retrospektive), die selbst in den Augen von 70mm- oder Farbfilm-unkundigen Laien einer Hinrichtung der beiden Klassiker gleichkamen, von vorneherein aussortiert und stattdessen etwas ältere, jedoch farblich, kontrastmäßig und schärfebezogen überlegene Archivkopien eingesetzt, die der Berliner Kinemathek trotz vergleichsweise leichterer Verfügbarkeit nicht eines Blicks wert waren.

Der allerdings kleinere Kinosaal des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt wirkt dennoch wie eine Antithese zur Diktion der Breitwandepoche - nicht zuletzt war es der frühere Direktor Schobert leider Gottes (er war früher Pfarrer und zuletzt Whisky-Experte), der vor fast 30 Jahren auf noch spartanischere Räumlickeiten drängte, während die Kinomacher es rechtzeitig noch vermochten, eine Rampensteigung und auch eine etwas größere Bildwand als vorgesehen durchzusetzen.

Erfreulich war hier immer wieder auf den 70mm-Festivals des Deutschen Filmmuseums - unter der Aura einer Studio- oder Laborsichtung einzuordnen - das Projektionsbild in seiner absoluten Formattreue. Wurden in Berlin im 'CineStar 8' die Bildseiten zur Apec Ratio von 2.0 : 1 beschnitten und im 'Kino International' einfach der Kopf- und Fußraum "weggesäbelt" - der bei einer Aspect Ratio von etwa 2.35 fast schon die Rückkehr der CinemaScope-Retrospektive von 1993 befürchten ließ - so vermochten es die Frankfurter in allen Vorstellungen, völlig unbeschnitten ihr 70mm-Format zu projizieren: gerade die Bildhöhe konnte nahezu bis an die Limits des Bildstrichs genutzt worden und die Bildkomposition, die in Berlin arg beeinträchtigt wurde, konnte in ihren würdigen Urzustand zurückzuversetzt werden. Hier konnte man förmlich aufatmen und die Bilder, so wie sie im Original kadriert waren, genießen.

Nachdem selbst eine der schmerzhaftesten Berlinale-Sünden, die Auswahl einer mehrfach "gedupten" und zudem noch seitlich beschnittenen BEN HUR-Fassung aus Melbourne (welche im 'Kino International nochmals in der Bildhöhe beschnitten wurde und somit vom Originalformat allenfalls 60% noch übrigließ) auch in Frankfurt nicht mehr abbestellt werden konnte, aber die Vorführung dieser Filmrollen entzückte dennoch durch die perfekt präsentierte Tongüte einer überragend abgemischten und überspielten Tonmischung in originalen 6-Kanal Magnetton - dies entgegen den üblichen DTS-Migrationen auf neuzeitlichen Kopien, deren Prägnanz und Direktionalität oftmals leidet. War das Bild der australischen Kopie in auffälliger Weise dunkel, grünstichig und "pockennarbig" entstellt in seiner Kornstruktur, sso konnte man sich zumindest bei geschlossenen Augen dem breitesten aller Breitwandfilme hingeben (und synästhetisch die Bilderfahrungen der Jugend vor dem inneren Auge Revue passieren lassen). Auch überraschte die Kraft und Klarheit des Effektton-Kanals bei BEN HUR, der in Berlin regelrecht unterschlagen wurde, da sich die Surround-Speaker-Anlage als unzureichend erwiesen hatte.
Leider hatte der Berliner Retrospektivenleiter Rother diverse Hinweise auf eine formatgetreue, vom Kameraoriginal kopierte und weitgehend farbakzeptable BEN HUR-Kopie der befreundeten norwegischen Kinemathek (nach deren Wünschen doch extra die Projektionsanlage des 'Kino International' ausgetauscht wurde!) in seiner Unbedarfheit übergangen und hatt stattdessen mit der australischen Kopie die opitsch denkbar schlechteste gewählt.

Leider schafften die beiden einzigen, in ihrer Bildgüte akzeptablen Neukopierungen, nicht nach Frankfurt: für die die Titel HELLO DOLLY (und offenbar auch LORD JIM) soll Hollywood Classics, die für Deutschland die Unterlizenzen halten, nach dem Berlinale-Hype kaum erfüllbare Mindesgarantien erwartet haben.

Dafür wurde am Main aber das Kurzfilmprogramm um den auf der Berlinale offenbar gemiedenen TOUR EIFFEL (des Berliner Filmregisseurs Veit Helmer) und um den spektakulären Werbefilm SHELLARAMA des engagierten Stuttgarter Filmsammlers Hans H. ergänzt - übrigens mit erstaunlichem Besucherzuspruch.

Größeres Unglück traf die Frankfurter eben so unerwartet wie auch unverdient, als auch hier FLYING CLIPPER zum Desaster wurde. In Berlin noch als Folge der katastrophalen technischen Herrichtung und Wartung herbeigeführt (so fiel einer der mangelnd gewarteten Filmprojektoren des 'CineStar 8' hier aus und ein Service war nirgendwo erreichbar), wurden die Frankfurter von einer inkompatiblen CD-Rom für das DTS-Tonverfahren überrollt, die in der Hektik des Versandes vertauscht worden war. Der Digital-Player versagte somit wieder einmal seinen Dienst - was uns neuerlich lehrt, wie stabil und universal einsetzbar einst einmal die Formate der analogen Projektionstechnik doch waren, die einen derartigen Totalausfall wohl verhindert hätten.
Dabei hätte diese Vorführung des ersten deutschen 70mm-Farbfilms ein Event werden können: im Gegensatz zur zwar neuen, leider noch total blaustichigen, fast monochromen Premierenkopie, die in Berlin einzelaktweise des Nachts durchgejagt wurde, stand für Frankfurt eine "brandneue" Kopie des Bundesarchvis mit massiven Farb-Korrekturen zur Verfügung. Tröstlich immerhin bleibt, daß diese Vorführung am 13.4.2009, am Ostermontag, in Frankfurt nachgeholt wird, während von weiteren Einsätzen des Films noch in 2009 leider nichts bekannt ist.

Zu dreiviertel voll waren die Vorstellungen von WEST SIDE STORY (mit ultrascharfer, 1992 von Robert Wise im Licht- und Farbausgleich überwachter 70mm-Neukopierung) sowie die allerneueste Dupkopierung von CLEOPATRA, die jedoch dem Farbkonzept Leon Shamroys widersprach, rostbraune Hauttöne und absaufende Schatten präsentierte( das ist nachweisbar anhand der hervorragenden DVD, die allerdings nur vom 35mm-Interpositiv transferiert wurde, dennoch aber als farbgetreu zur 70mm-Premierenkopie anzusehen ist) - und die nichtsdestotrotz das mit scharfen Breitwandbildern heute eher entwöhnte Publikum unterschwellig erreichte.
Ausverkauft waren wie gewohnt Vorstellungen von PLAY TIME, 2001: A SPACE ODYSSEY und LAWRENCE OF ARABIA, deren Neukopierung leider nicht immer im adäquaten Verhältnis zum hohen Zuspruch dieser Filme ausfällt.

Die Individualität der frankfurter Schaukastenwerbung (in Berlin hielt es die Deutsche Kinemathek nicht für nötig, auch nur ein einziges Filmplakat oder Foto auszuhängen) aber auch die Eigenständigkeit der Programmtexte zeigte wieder einmal deutlich, daß Frankfurt mit seinem Filmmuseum einen avancierteren Umgang mit dem Repertoire - auch auf einem schwierigen, ihrem mittlerweile vierten 70mm-Filmfestival - unter Beweis stellen konnte: http://www.deutschesfilmmuseum.de/pre/print.php?main=70mm

CINERAMA
Korrespondentenbericht aus Frankfurt am Main

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